Grüne in der braunen Ecke?Studiengebühren für Ausländer in Baden-Württemberg
Freie Bildung nur für EU-BürgerInnen (und Bildungsinländer)?
Auf Anfrage von Studis Online beim Wissenschaftsministerium in Stuttgart hieß es am Donnerstag seitens der Pressestelle, die Angelegenheit werde "im Haus geprüft". Mit einem Ergebnis sei aber erst "im Laufe des Herbstes" zu rechnen. Dazu passend äußerte Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag: "Es muss abgewogen und entschieden werden. Weiter ist der Stand noch nicht." In der Vorwoche klangen seine Einlassungen zum Thema noch weniger diplomatisch: "Wir bilden jedes Jahr ein koreanisches Symphonieorchester aus. In Korea zahlt man Studiengebühren von bis zu 13.000 Dollar pro Semester."
Die Aussage kann man hemdsärmelig nennen oder schlicht populistisch. Gerade in Wahlkampfzeiten hat die Wahrheit einen schweren Stand. Dass allerdings ein grüner Regierungschef solche Sprüche klopft, hat schon ein bitteres Geschmäckle. Und bestimmt nicht jeder Grünen-Anhänger wird es gerne mit ansehen, dass ausgerechnet seine Partei ein Fass aufmacht, an dem sich sonst vor allem Rechtsnationale vergreifen.
Nicht-EU-Ausländer zur Kasse
Den Anfang dazu hatte Mitte August die grüne Fraktionschefin im Landtag, Edith Sitzmann, gemacht. Man solle doch bitteschön, so ihre Empfehlung, Nicht-EU-Ausländer mit bis zu 1000 Euro pro Semester zur Kasse bitten. "In der Regel stammen diejenigen, die aus den USA oder Asien zu uns kommen, nicht aus den ärmsten Elternhäusern", sagte sie damals den Stuttgarter Nachrichten. Den möglichen Ertrag der Maßnahme bezifferte die Politikerin auf einen "zweistelligen Millionenbetrag". Das von ihrer Parteifreundin Theresia Bauer geführte Wissenschaftsministerium nahm sich der Sache prompt an und brachte den Vorschlag in den Lenkungskreis der Kommission für Haushalt und Verwaltungsstruktur (KHV) ein, der daraufhin einen Prüfauftrag an das Ministerium erteilte.
Der Vorgang sorgte für helle Aufregung: Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) empörte sich über einen Vorstoß, der an "Rechtspopulismus" grenze. Bisher sei eine derartige Möglichkeit nur in Sachsen mit den Stimmen von CDU, FDP und NPD eingeräumt worden, erklärte Verbandsvorstand Erik Marquardt und riet den Grünen im Ländle zur Lektüre ihres Koalitionsvertrages. "Dort wurde nicht nur die Abschaffung der Studiengebühren beschlossen, sondern auch festgelegt, dass die rot-grüne Regierung mehr ausländische Studierende an die Hochschulen bringen möchte." In die gleiche Kerbe schlug der Bundesverband Ausländischer Studierender (BAS), für den der Fall zeigt, dass die Regierung "ausländische Studierende als Belastung und nicht als Gewinn betrachtet". Hart das Urteil von ABS-Geschäftsführer Johannes Glembek: "Die Darstellung der Partei als migrationsfreundlich, antidiskriminierend und die Bildung fördernd muss wohl als Wahlkampfgetöse abgetan werden. Was zählt ist, was in Regierungsverantwortung getan wird."
Grüne in der rechten Ecke?
Ein gefundenes Fressen ist das Thema freilich auch für den politischen Gegner. "Bei jedem abgelehnten Asylbewerber ketten sich die Grünen an Gleisen fest und sprechen von einem Unrechtsstaat, aber hier wollen sie ausgerechnet die Ausländer abschrecken, die wir am dringendsten brauchen: junge, motivierte Leute", mokierte sich etwa CDU-Vorstandsmitglied Younes Ouaqasse, der selbst marokkanische Wurzeln hat.
Tummeln sich die Grünen also in der rechten Ecke? Das Signal aus Stuttgart kam auch bei der Grünen-Spitze in Berlin nicht gut an. Stellvertretend für die Parteiführung rief der bildungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Kai Gehring, die Parteikollegen im Südwesten zur Raison: "Bei einer schwierigen Haushaltslage neue Einnahmen zu prüfen, darf nicht zu hochschul-, wirtschafts- und sozialpolitisch kontraproduktiven Entscheidungen führen". Der kostenfreie Hochschulzugang sei ein "Standortvorteil und befördert Internationalisierung – bundesweit und in Baden-Württemberg".
Schuldenabbau über alles
Wirklich durchgedrungen ist Gehring mit seiner Mahnung aber wohl nicht. Nicht, weil im Ländle grüne Rassisten regierten – nein, das kann man Kretschmann und seinen Gefolgsleuten wirklich nicht unterstellen. Seit der Machtübernahme durch Grün-Rot vor zwei Jahren dient die Regierung jedoch nur noch einem Fetisch, dem der "Haushaltskonsolidierung". Nach dieser Sichtweise ist praktisch alles, was zum vermeintlichen Schuldenabbau taugt, begrüßenswert. Rücksichten auf irgendwelche Befindlichkeiten von Wählern oder der eigenen Klientel, kennt man dabei nicht. Im Schulbereich zum Beispiel ist die Koalition im Begriff, einen beispiellosen Kahlschlag mit der mittelfristigen Kürzung von über 11.000 Lehrerstellen ins Werk zu setzen, nur, um die Vorgaben der sogenannten Schuldenbremse einzuhalten. Und allen Protesten von Lehrern, Schülern und Eltern zum Trotz wird an der Marschroute festgehalten.
Bezeichnend ist es denn auch, dass die Idee, Ausländer fürs Studieren abzukassieren, nicht von den Grünen, sondern vom Landesrechnungshof stammt, so etwas wie das institutionalisierte Sparschwein vom Ländle. Der hatte Mitte Juli mittels einer "beratenden Äußerung" massive Einschnitte bei den Musikhochschulen des Landes angemahnt und dabei unter anderem die Gebühren für Nicht-EU-Bürger ins Spiel gebracht. Ziel müsse es sein, "die Zahl der vom Land finanzierten Studienplätze für Musikstudenten aus Staaten außerhalb der EU auf landesweit 345" zu begrenzen. Dies entspräche dann noch 13 Prozent der Kapazitäten, bisher besetzen Nicht-EU-Bürger im Landesdurchschnitt ein Viertel der Musikstudienplätze. Besonders stark vertreten sind demnach Japan, China, Taiwan und Südkorea. Daher auch Kretschmanns Gerede von koreanischen Symphonieorchestern, für deren Ausbildung angeblich der deutsche Steuerzahler bluten muss.
Rechnungshof sagt an
Da passt es ins Bild, dass sich auch sonst praktisch sämtliche Empfehlungen des Rechnungshofs im regierungsamtlichen Kürzungskonzept für die Musikhochschulen wiederfinden: Die Streichung von 500 Studienplätzen ebenso wie Einsparungen von jährlich fünf Millionen Euro. Und wie dem Rechnungshof schwebt auch Kretschmanns Grünen vor, das angedachte Gebührenmodell gleich auf alle Landeshochschulen zu übertragen. Insgesamt beträfe das 28.000 Studierende. Nicht blechen müssten im Fall der Umsetzung die knapp 12.000 Studierenden aus der Europäischen Union, über die Fraktionschefin Sitzmann mit merklichem Bedauern feststellte, dass dies EU-rechtlich nicht gehe.
Mit drastischen Worten hat das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) die Vorgänge in einer Pressemitteilung bedacht. Darin beklagt der Verband die "rassistische Haltung" des Landesrechnungshofes, "Schutzmauern" gegen Ausländer hochziehen zu wollen. "Wieweit ist es mit der Weltoffenheit bestellt, wenn die widersinnige Auffassung vertreten wird, dass vorzugsweise deutsche Studierende, vielleicht gerade noch EU-AusländerInnen, an den Musikhochschulen des Landes studieren können?" Für das ABS sei die Sprache der Musik international, "und sie sollte es vorzugsweise für Baden-Württemberg auch bleiben".
Zweifelhaftes SPD-Nein
Was aus dem Thema wird, muss man abwarten. Für die grünen Wahlkämpfer in Bayern und im Bund kam die Diskussion jedenfalls zur Unzeit, zumal sich die Ökopartei ohnehin im Abwärtstrend befindet. Nach der Wahl könnten die Karten neu gemischt werden und der parteiinterne Widerstand rasch bröckeln. Gerade die Grünen haben in der Vergangenheit schon so manche heilige Kuh aus Gründen des Machterhalts geopfert. Immerhin geben sich die im Ländle mitregierenden Sozialdemokraten widerborstig: Studiengebühren werde es mit der SPD nicht geben, betonte zuletzt Landesparteichef und Finanzminister Nils Schmid. Aber auch sein "Nein" gilt nur mit Abstrichen: Hinsichtlich der Musikhochschulen "kann man über spezielle Lösungen nachdenken". (rw)