Noch mehr Drittmittel, noch mehr ›Wettbewerb‹ und noch mehr Ungleichheit!Förderranking 2012 der DFG
Von Torsten Bultmann (politischer Geschäftsführer des BdWi)
Die Geschäftsstelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hier wird über Wohl und Wehe (nicht nur) des Forschungsetats praktisch aller Universitäten in Deutschland entschieden.
Am 24.Mai 2012 stellte die DFG ihren dreihundertseitigen »Förderatlas 2012 – Kennzahlen zur öffentlich finanzierten Forschungs in Deutschland«1 vor. Seit 1997 veröffentlicht die DFG im Abstand von drei Jahren aktualisiert derartige Kennzahlen. Diese sind für alle hochschulpolitisch Aktiven wie Interessierten eine unverzichtbare Informationsquelle – auch als Quelle für Kritik an bestimmten Entwicklungsrichtungen in der Wissenschaftsfinanzierung. Vor allem aufgrund des Umfangs und der Vollständigkeit der Daten: die DFG listet nicht nur die Drittmittel, die sie selbst als Förderorganisation verteilt, sondern setzt diese in ein Verhältnis zu den Grundmitteln der Hochschulen, zu den sich daraus ergebenden weiteren Indikatoren (Fächergewichtung, Zahl der ProfessorInnen etc.) sowie zu den Drittmittel aus anderen Quellen (Bund, Europäische Union, ›Wirtschaft‹). Zusätzlich wird die personenbezogene Förderung der Alexander von Humboldt Stiftung und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (Ermöglichung stipendienbasierter wissenschaftlich Gastaufenthalte im In- und Ausland) erfasst. Ein Novum des aktuellen Rankings ist, dass Personalressourcen der Hochschulen und Förderentscheidungen erstmalig auch geschlechtsspezifisch differenziert werden.
Es dürfte sich angesichts dieser Datenlage um das wissenschaftspolitisch (und in der öffentlichen Wahrnehmung) einflussreichste Ranking in Deutschland handeln. Dennoch verzichtet die DFG in der 2012-Version erstmalig und ausdrücklich auf die Bezeichnung »Ranking« und nennt das Konvolut fortan »Förderatlas«. Das sei auch »ein forschungspolitisches Signal: Nicht ›immer mehr‹ und ›immer höher‹ ist das, was zählt, sondern der Erfolg, mit dem es Hochschulen ……. gelingt, ein spezifisches Profil zu entwickeln….« (S. 17). Ob dieser programmatische Schwenk gelingt und sich die trivialen Assoziationen des – möglicherweise wissenschaftsfremden - Rankingbegriffs vermeiden lassen, davon wird noch zu reden sein (s.u.). Vorweg sei immerhin gesagt: Solange in der Logik der Kennzahlenpräsentation sich »Erfolg« von Hochschulen im Umfang der Drittmittelsummen misst – und nicht an ihrem Beitrag zum realen Erkenntnisfortschritt und an der gesellschaftlichen Relevanz ihrer Ergebnisse, die sich ohnehin nicht quantitativ abbilden lässt -, wird sich hinten herum immer wieder die triviale Tabellenbetrachtung einschleichen.
Gesamtbudget der Hochschulen immer instabiler
Drittmittel sind ein Wachstumsmarkt. Ihr Gesamtumfang (aus allen Förderquellen) betrug 2009 insgesamt 5,3 Mrd. Euro (2006: 3,9 Mrd.) und stieg damit anteilig auf 26 Prozent des Hochschulbudgets. Im Jahre 1998 waren dies noch 16 Prozent (2,5 Mrd. Euro). Dem entspricht folglich eine Steigerung von 100 Prozent in zehn Jahren. Das Wachstum ist auch darauf zurück zu führen, dass die Finanzen der »Exzellenzinitiative«, die im ersten Förderzyklus (2006-2011) 1,9 Mrd. Euro betrugen, als Drittmitteleinnahmen gebucht und gerankt werden. Die Haupteinnahmequelle der Hochschulen sind nach wie vor die staatlichen, überwiegend von den Ländern bereit gestellten Grundmittel in einem aktuellen Umfang von 15,5 Mrd. Euro. Diese sind seit 1998 (12,6 Mrd. Euro) lediglich um 23 Prozent gestiegen. Setzt man diese geringfügige Steigerung in ein Verhältnis zur wachsenden gesellschaftlichen Beanspruchung der Hochschulen, etwa zu den steigenden Studierendenzahlen, bedeutet dies Stagnation auf niedrigem Niveau.
Die Drittmittel können diese Stagnation nicht kompensieren und durch ihr rasantes Wachstum geht es den Hochschulen auch nicht insgesamt besser: schon deswegen nicht, weil Drittmittel sich nicht gleichmäßig über das System verteilen, sondern sich in der Masse an wenigen Standorten konzentrieren. Allein 60 Prozent der von der DFG vergebenen Forschungsmittel bündeln sich an 20 top-gerankten Universitäten und TUs (von knapp über 100).
Entscheidend sind allerdings nicht in erster Linie die rein statistischen Relationen, sondern die qualitativen und strukturverändernden Effekte für das gesamte Hochschulsystem. Noch bis etwa Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhundert existierte eine Art Konsens innerhalb der HochschulpolitikerInnen, dass Grundmittel die Erfüllung der grundständigen gesetzlichen Aufgaben der Hochschulen in Studium, Lehre und Forschung gewährleisten – und folglich mit dem Wachstum dieser Aufgaben auch wachsen – müssen. Drittmittel hätten demgegenüber eine Ergänzungsfunktion für befristete und komplementäre wissenschaftliche Projekte jenseits davon. In den letzten Jahren erhielten wachsende Anteile des Drittmittelsektors jedoch zunehmend eine Gewährleitungsfunktion, indem die Hochschule aufgrund der Finanzknappheit zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben auf diese Ressource zugreifen müssen, indem etwa wissenschaftliche Mitarbeiter, die über Drittmittel finanziert werden, in der grundständigen Lehre eingesetzt werden. Dadurch ist die Erfüllung dieser Aufgaben nicht langfristig planbar, sie wird instabil, widerruflich und prekär. Die Verschlechterung der wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen – und damit auch der Studienbedingungen - , die etwa darin zum Ausdruck kommt, dass 87,9 Prozent (2009) der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, deren Anzahl in etwa 150 Tsd. beträgt, nur noch (immer kürzer) befristet eingestellt werden (42,5 Prozent von ihnen drittmittelfinanziert)2, hat hier eine ihrer Ursachen.3 Der strukturelle Zwang, ständig Drittmittel anzuwerben allein um wissenschaftliche MitarbeiterInnen zu halten und die Grundfunktionen der Hochschule abzusichern, nimmt auf diese Weise zu – und damit zugleich der Anpassungsdruck an die Standards der Drittmittelgeberorganisationen. Der konservative Deutsche Hochschulverband (DHV), die Standesorganisation der Universitätsprofessoren, sieht daher sogar – in der Sache zu Recht – in einer Resolution die »Unabhängigkeit der Wissenschaft« gefährdet. Diese nämlich »setzt eine ausreichende Grundfinanzierung von Forschung und Lehre voraus. Daran mangelt es aber. (…..) Der Deutsche Hochschulverband (DHV) sieht deshalb die wachsende Abhängigkeit von Drittmitteln in der Forschungsförderung mit Sorge. (…..) Vor diesem Hintergrund ist die Koppelung der Grundfinanzierung an das Drittmittelaufkommen ein Irrweg.«4
Welche Koppelung? Mit diesem Begriff wird auf ein zusätzliches Problem hingewiesen: die Konzentration der Drittmittel an bestimmten Fachbereichen und Hochschulstandorten beeinflusst zugleich eine zunehmend ungleichmäßige Verteilung der Grundmittel.
Zum einen wurden in zahlreichen Bundesländern Mechanismen der sog. Leitungsorientierten Mittelvergabe (LOM) eingeführt, die beinhalten, dass ein Teil der Grundfinanzierung nach quantitativen Leistungsindikatoren ›wettbewerblich‹ verteilt wird. Dabei wird das Drittmittelaufkommen häufig stark gewichtet. In NRW etwa erhalten die Hochschulen nur noch 77 Prozent der ihnen vom Landtag zugebilligten Mittel direkt ausgezahlt. Der Rest (Umfang 2012: 431,7 Mio. Euro) wird in einem Leistungspool zurück gehalten, wobei 40 Prozent aus dessen Summe nach dem Indikator ›Drittmittel‹ verteilt werden. Den politisch Verantwortlichen5, die sich solche abstrusen Mechanismen ausdenken, ist aber bekannt, dass im konkreten Fall sich seit langem ein Drittel aller in NRW überhaupt eingeworbenen Drittmittel an der TH Aachen konzentrieren, die zudem im Drittmittelranking der DFG seit dem Förderzeitraum 1991-1995 immer auf Platz 1 oder 2 stand (Tabelle 3-1; S. 75) – und folglich zu den reichsten Hochschulen Deutschlands gehört. Daher ist diese konkrete Gewichtung der LOM nichts anderes als eine als (staatlich simulierter) ›Wettbewerb‹ getarnte politische Subventionierung der TH Aachen aus Finanzmitteln, die grundsätzlich allen Hochschulen zur Verfügung stehen (sollten).
Zum Zweiten ist seit mehr als zwei Jahrzehnten eine Art schleichende Tendenz feststellbar, dass Hochschulleitungen - die angesichts der strukturellen Unterfinanzierung nach jedem Strohalm greifen müssen, um ihr Budget aufzubessern - Grundmittel zunehmend entsprechend der zu erwartenden Drittmittel, d.h. an den als ›forschungsstark‹ vermuteten (oder bereits erwiesenen) Fachbereichen, konzentrieren, um dort für die potentiellen Mittelgeber sichtbar die materielle Infrastruktur zu verbessern.6 Es wird erfahrungsgemäß auch nur dort in Projektforschung investiert, wo diese Infrastruktur eine gewisse kritische Mindestgröße übersteigt. So findet sich häufig an ein und derselben Universität ein Nebeneinander von perspektivlos herunter gewirtschafteten Massenfächern und solchen Fachbereichen, die im Glanze der ›Exzellenz‹ erstrahlen. In der Langfristperspektive des DFG-Förderrankings seit 1991 steht etwa die Universität (LMU) München kontinuierlich auf Platz 1 oder 2 (ebd.), tauscht also zuweilen mit der TH Aachen den Platz und ist folglich im Vergleich mit anderen Universitäten was ihr Gesamtbudget betrifft relativ wohlhabend. Im Sommersemester 2006 traten dort dennoch – historisch erstmalig - alle Lehrbeauftragten eines Instituts, Ethnologie und Afrikanistik, geschlossen in den Streik. Offenkundig wurde so, dass an diesem Institut auf ca. 1000 Studierende drei Professuren kommen, während das Gros des Pflichtlehrbetriebes durch eine proletarische Reservearmee von 20-30 Lehrbeauftragten gewährleistet wird, die überwiegend als Scheinselbständige semesterweise Verträge im Umfang von 255,- Euro – für das ganze Semester wohlgemerkt - pro Doppelstunde abschließen.7 Im gleichen Sommersemester wurde die Uni München im Rahmen der 3. Förderlinie der Exzellenzinitiative zur ›Eliteuniversität‹ ernannt.
Quellen und Zusammensetzung der Drittmittelförderung – Rolle der DFG
Die wichtigste Förderorganisation ist die DFG, die 35 Prozent aller Drittmittel verteilt. Sie wird nach einem Bund-Länder-Schlüssel aus Steuergeldern finanziert. Im Berichtszeitraum des aktuellen Rankings (2008-2010) verausgabte sie etwa 5.928 Mio. Euro, wovon 99,7 Prozent an die Universitäten gingen, während die Fachhochschulen lediglich 11,3 Mio. Euro erhielten. Weitere 21 Prozent der Drittmittel kommen aus der Projektförderung des Bundes, 10 Prozent aus Mitteln der Europäischen Union8, 23 Prozent von Industrie und Wirtschaft, der Rest entfällt auf Stiftungen und andere (überwiegend öffentliche) Einzelförderer.
In linken Diskussionskreisen wird die Zunahme des Drittmittelsektors häufig mit »Privatisierung« der Hochschulen (im Sinne der Eigentumsfrage) gleichgesetzt. Davon kann allerdings bei einer derartigen Zusammensetzung keine Rede sein. Der Anteil der Drittmittel, welcher aus unmittelbar privaten Quellen kommt – im offiziellen Jargon »Industrie« und »Wirtschaft« - ist mit einem relativen Anteil von einem knappen Viertel seit Jahrzehnten so ziemlich konstant. Das heißt: der weitaus größeren Teil der Drittmittel kommt aus öffentlichen, steuerbasierten Quellen. Man könnte es – etwas zynisch – so formulieren, dass es sich dabei um Finanzen handelt, die man den Hochschulen weggenommen hat bzw. die man ihnen angesichts einer chronisch defizitären Grundfinanzierung vorenthält, um sie auf eine andere Weise wettbewerbsbasiert zu verteilen. Folglich darf vermutet werden, dass sich in diesem Muster eine Art informeller Konsens der politisch Verantwortlichen verbirgt, vom Paradigma einer flächenbezogenen auslastungsorientierten Hochschulfinanzierung, welches sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts heraus gebildet hat, abzurücken und finanzielle Zuwächse nur noch selektiv nach - politisch konstruierten - ›Leistungskriterien‹ zu verteilen und die so bewirkte Hierarchisierung der Hochschullandschaft bewusst in Kauf zu nehmen.9 Die Exzellenzinitiative - mit ihrem mediengerecht inszenierten Höhepunkt der politischen Ausrufung von ›Eliteuniversitäten‹ - wäre dann der letzte Schliff an dieser Konstruktion, weil sie dazu beiträgt, eine bestimmte Kategorie von Hochschulen auch symbolisch und kulturell vom - schäbigen unterfinanzierten - ›Rest‹ abzusondern.
Der DFG kommt als Institution in diesem Spiel eine Schlüsselrolle zu, die sie auch sehr selbstbewusst ausübt. Ihre Förderung bewirkt nicht nur einen relativ hohen prozentualen Anteil (35 Prozent) des Drittmittelbudgets, sondern gilt zugleich als Indikator für Forschungsstärke generell. Daraus ergibt sich ein Effekt, den sie selbst einmal im Jahre 2003 als »hoch-korrelativ«10 bezeichnet hat: je mehr DFG-Mittel eine Hochschule erhält, umso mehr Drittmittel bekommen die geförderten Bereiche auch aus anderen öffentlichen und/oder privaten Quellen. Je höher man also im Ranking bis zur Spitze hin klettert, umso mehr wirken diese Kumulationseffekte, umso reicher sind die davon begünstigten Hochschulen - wenn auch längst nicht in allen Arbeitsbereichen. Dies kann durchaus mit einer Verschlechterung der Studienbedingungen einhergehen. Bereits im 2009er-Förderranking wurde der Effekt aufgeschlüsselt: die 40 bewilligungsstärksten Hochschulen bei der DFG erhielten (2006) auch 78 Prozent der FuE-Projektförderung des Bundes und 83 Prozent der an deutsche Hochschulen geflossenen Forschungsmittel der EU.11 Nach oben hin nimmt dann die Konzentration noch einmal zu: die 20 bestplatzierten Universitäten bekamen 60 Prozent aller DFG-Mittel und zugleich 80 Prozent der im Rahmen der Exzellenzinitiative verteilten Finanzen.12 An diesen Proportionen hat sich im aktuellen »Förderatlas« nichts Wesentliches geändert.
In diese Konzentration von Forschungsfördermittel aus verschiedenen Quellen an wenigen Standorten wirken offenbar leistungsindifferente Selbstverstärkereffekte mit hinein, die in der Wissenschaftsforschung als Matthäus-Effekt oder »Thomas-Theorem der realitätskonstruierenden Wirkung von Situationsdefinitionen« bekannt sind: »Nach dem Thomas-Theorem werden gegenwärtige Forschungsleistungen im Lichte vergangener Forschungserfolge beurteilt. Vergangene Erfolge erhöhen die Aufmerksamkeit für gegenwärtige Leistungen. Letztere werden außerdem durch die Strahlkraft der älteren Spitzenleistungen aufgewertet. Nach dem Mechanismus der self-fullfilling-prophecy helfen Erfolge, weitere Forschungsmittel an Land zu ziehen, die in einem kumulativen Prozess in weitere Erfolge umgesetzt werden.«13
Dazu einige wenige exemplarische Einzelbeispiele: die (im DFG-Ranking) erstplatzierte TH Aachen bekommt 2009 insgesamt 250,1 Mio. Euro Drittmittel, davon u.a. 92,4 Mio. von der DFG, 42,1 Mio. vom Bund, 13,8 Mio. von der EU und 74,0 Mio. von der Industrie. Die viertplatzierte TU München erhält im gleichen Jahr 228,2 Mio. Drittmittel insgesamt, 77,9 Mio. von der DFG, 35,6 Mio. vom Bund, 18,6 Mio. von der EU und 76,0 Mio. von der Industrie.14 Eine etwas andere Liga: die Universität Lüneburg erhielt 2009 7,6 Mio. Euro Drittmittel, davon 200 Tsd. von der DFG. (Tabelle A-2, S.210f). Auffällig ist auch, dass die TH Aachen im Ranking der DFG-Finanzierung, welches den Zeitraum von 2008-2010 erfasst, ohne die Exzellenzinitiative nur drittplatziert wäre. Von den 278,1 Mio. Euro, die sie in diesem Zeitraum erhielt, stammen knapp 120 Mio. aus der Exzellenzinitiative (Tabelle 3-7, S.76)
Die DFG hat also einen erheblichen Einfluss für die Strukturierung der deutschen Hochschulforschung und damit für die institutionelle Aufstellung der Hochschullandschaft insgesamt. Die Kritik an den negativen strukturellen Resultaten dabei – Unterfinanzierung in der Breite des Systems, Bestausstattung in der Top-Liga als sich gegenseitig verstärkender Wirkeffekt - hat zunächst keinen politischen Adressaten. Die DFG selbst versteht sich auch gar nicht als politische Institution, sondern als »Selbstverwaltung der deutschen Wissenschaft«, die nach rein akademisch-fachlichen Kriterien Grundlagenforschung fördert. Über die jeweiligen Projektanträge, die bei ihr eingehen, wird in der Tat nach dem peer-review-Verfahren durch ehrenamtliche Gutachter entschieden. Deren Redlichkeit und die Validität der einzelnen Verfahren soll zunächst auch gar nicht angezweifelt werden. Wenn aber nun im Resultat vieler akademischer Einzelentscheidungen bestimmte problematische strukturelle Effekte entstehen, bedarf dies politischer Verantwortung und politischer Konsequenzen. Dafür ist die DFG als (Mit-)Verursacher dieser Situation nicht zuständig. Aber eben auch sonst niemand. Vermutlich liegt genau hier das Problem.
Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass in solchen DFG-Projektantragsverfahren nicht etwa kontextfrei und voraussetzungslos individuelle wissenschaftliche Ideen beurteilt werden, sondern dass die DFG dabei immer auch zirkulär sich selbst und ihre Förderentscheidungen bewertet. Das ergibt sich allein schon an der Kumulation der verschiedenen, unter dem Dach der DFG gebündelten Förderverfahren an den wenigen davon begünstigten Standorten. Sie »tritt …. in einer Doppelrolle auf: einerseits als Förderorganisation, andererseits als Evaluator der Forschung und ihrer Förderung. Die DFG evaluiert sich mit dem Ranking selbst, und das mit nachhaltigen, Realität konstruierenden Konsequenzen. In der Öffentlichkeit entsteht ein Bild der Forschungsrealität, das mit der Verteilung von DFG-Mitteln identisch ist.«15
Ist Viel gleich Gut? Die politische Kommunikation über das Ranking
In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dass die Forschungsstärke einer Hochschule identisch ist mit der Gesamtsumme an Drittmitteln, die sie einwirbt. Im Ranking der Gesamtbewilligungen der DFG (Tabelle 3-2, S. 76) fällt zunächst auf, dass auf den ersten 20 Plätzen fast ausschließlich sehr große Universitäten stehen. Dabei macht es natürlich einen Unterschied, ob an einer Hochschule 428 antragsberechtigte ProfessorInnen wie am Spitzenreiter der TH Aachen oder 63 wie an der Universität Flensburg bzw. 169 wie an der Universität Konstanz forschen und lehren. (Tab A-3, S.212). Wenn auf diese Weise unterschiedliche statistische Mengeneffekte in ›Qualitätsunterschiede‹ umgemünzt werden, vergleicht man im Grunde Äpfel und Birnen. Außerdem werden durch ein bloßes Mengenranking die unterschiedlichen Profile der Hochschulen nicht berücksichtigt. Hochschulen mit einer eher sozial- und geisteswissenschaftlichen Ausrichtung, d.h. etwa ohne Ingenieurwissenschaften und medizinische Fakultät, werden immer relativ weniger Mittel erhalten. Nach Angaben der DFG selbst ist das Finanzierungsvolumen in den ›hard sciences‹, den Ingenieurwissenschaften, um den Faktor 10 höher als in den Bücherwissenschaften. (S.188)
Schließlich gibt es unterschiedlich Fachkulturen mit einer unterschiedlichen Drittmitteltradition. Zwischen 2006 und 2010 haben insgesamt zwei Drittel aller UniversitätsprofessorInnen bei der DFG mindestens einen Förderantrag gestellt, in den Geisteswissenschaften knapp über 50 und in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften etwa 45 Prozent.(S. 111) Die Suggestion, dass die Nicht-Antragsteller nichts leisten und nicht forschen ist völlig unzulässig. Das sagt die DFG natürlich so nicht, aber sie tritt auch dem durchaus von ihr selbst verbreiteten öffentlichen Eindruck – Spitzenforschung ist identisch mit DFG-Förderung – nicht entschieden entgegen. Wenn sie die geringere Antragstradition in einigen Fachgebieten beklagt, sollte sie eigentlich zusätzlich darauf hinweisen, dass im Falle einer Annäherung an das von ihr offenbar vertretene 100-Prozent-Ideal auch ihre Ablehnungsquote steigen und der formale Wettbewerbsdruck sich verschärfen müsste. Die Forschungsleistung in finanziellen Fördersummen darzustellen – selbst wenn diese nach Fächern differenziert werden – kann schließlich insofern auch problematisch sein, als auf diese Weise tatsächlich nicht die wirkliche Ergebnisproduktivität, d.h. die Erkenntnisleistung im Verhältnis zu Personal- und Sachmitteleinsatz sowie zum Zeitaufwand bewertet werden kann. »Besonders effizient arbeitenden, also für einen bestimmten Forschungsoutput relativ wenig Mittel verbrauchenden Instituten, verschafft dieser Indikator einen ungerechtfertigten Nachteil.«16
Fairerweise soll gesagt sein, dass die DFG nicht nur Gesamtfördersummen als bundesligaassoziative Rankings präsentiert, sondern die Forschungsförderung auch in differenzierteren Darstellungen sowohl personalrelativiert – Fördersumme pro Wissenschaftler/-in – als auch nach Fächern relativiert abbildet. Wenn etwa die die Förderung in den Sozial- und Geisteswissenschaften nach ProfessorInnen aufgelistet wird, steht etwa die Universität Konstanz auf Platz 1 (420,4 Tsd. Euro je Prof. im Zeitraum 2008-2010; Tab.4-2, S.115) – im Gesamtranking hingegen auf Platz 19 - und die TH Aachen taucht unter den ersten 40 Unis überhaupt nicht auf. Dennoch handelt es sich auch bei solchen sachlich angemessenen Differenzierungen immer um Rankings, welche die Assoziation »Menge = Qualität«, »mehr = besser« transportieren, unabhängig davon, welche Größenordnungen von Finanzen in Abhängigkeit vom Fachgebiet verglichen werden. In der öffentlichen Kommunikation schließlich, die durch die DFG selbst angestoßen wird, steht ihr nicht weiter differenziertes Gesamtfördersummenranking im Zentrum: wir erfahren u.a., dass Aachen an der Spitze bleibt, dass die FU Berlin sich von Platz 5 auf 3 verbessert hat, dass Heidelberg von 3 auf 5 abgestiegen ist.17 Natürlich interessieren sich die Medien für spektakuläre Auf- und Absteiger ohne zu fragen, was hier überhaupt miteinander verglichen wird. Spektakuläres gibt es allerdings gar nicht zu vermelden, da das Spitzenfeld seit zwanzig Jahren relativ fest gefügt ist (Tab 3-1, S.75) und hier höchstens mal zwei miteinander die Plätze tauschen.18
Wissenschaftspolitische Konsequenzen in der Diskussion
Aus dem Wachstum der Drittmittel bei gleichzeitiger Stagnation der Grundfinanzierung der Hochschulen ergibt sich eine erhebliche negative Strukturverzerrung mit Blick auf das gesamte Hochschulsystem und seine gesellschaftlich relevante Leistungsfähigkeit. In dem Maße wie die Grundmittel eingefroren bleiben und die Drittmittel erheblich zunehmen, gibt das DFG-Ranking vor allen Dingen auch Auskunft über komplett unterschiedlich materielle Leistungsbedingungen zwischen den ca. 100 deutschen Universitäten. Diese Finanzierungsunterschiede sind nicht wettbewerbsneutral, sondern geradezu die Voraussetzung einer scharfen Konkurrenz um Drittmittel und deren ungleiche Verteilung. Gerade solche unterschiedlichen materiellen Leistungsbedingungen determinieren zugleich die Erfolgschancen in Drittmittelantragsverfahren – völlig unabhängig von der subjektiven Qualifikation der beteiligten WissenschaftlerInnen. Die ungleichen Voraussetzungen ›verschwinden‹ dann aber in der Ergebnispräsentation des Rankings und der Scheinneutralität seiner Zahlentabellen, indem es suggeriert, es handle sich um subjektiv unterschiedliche Leistungsfähigkeit verschiedener Forscherpersönlichkeiten an verschiedenen Hochschulstandorten, welche die Unterschiede bewirke und jedeR könne, wenn er/sie nur wolle und sich anstrenge!
In dem formalen Wettbewerb – unter ungleichen Teilnehmern – dominiert zunehmend eine ökonomische Logik über die wissenschaftlichen Aspekte. Zur Diskussion steht, inwieweit dadurch möglicherweise auch die Bedingungen für tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt sukzessive eingeschränkt werden. So sieht es zumindest der Bamberger Soziologe Richard Münch: »Mit dem schrumpfenden Anteil der Grundausstattung und dem wachsenden Anteil der Drittmittel an den Forschungsgeldern, gewinnt die ökonomische Logik der Akkumulation von Kapital zur Positionierung im Wettbewerb um Forschungsmittel die Oberhand über den wissenschaftlichen Wettbewerb um Erkenntnisfortschritt und Ehre.«19
Die einzige Konsequenz aus diesem Befund kann nur darin bestehen, die Grundausstattung aller Hochschulen deutlich zu erhöhen und damit die materiellen Leistungsbedingungen als Grundlage für wirkliche wissenschaftliche Leistungen, Vergleiche und produktive akademische Kontroversen zu verbessern – statt »Exzellenz« an ganz wenigen Standorten durch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Breite des Hochschulsystems zu finanzieren.
Auf der DFG-Pressekonferenz zur Präsentation des »Förderatlas« forderten genau diese Erhöhung der Grundmittel nachdrücklich auch alle Sprecher der einschlägigen Institutionen – DFG, HRK, Stifterverband – einschließlich folglich des DFG-Präsidenten Matthias Kleiner. Inwieweit dies perspektivisch Konsequenzen hat, muss sich noch erweisen. Schließlich verdankt die DFG ihre exzeptionelle Machtstellung gerade dem funktionalen Bedeutungszuwachs der Drittmittelförderung gegenüber der regulären Hochschulfinanzierung.
Der Autor
Torsten Bultmann, Jg. 1954, Bonn, studierte Geschichte, Germanistik und Pädagogik, arbeitete lange in der Studierendenbewegung und interessiert sich auch heute noch zäh für Hochschulpolitik. Er ist Bundesgeschäftsführer des Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi).
Fußnoten
1 Deutsche Forschungsgemeinschaft: Förderatlas 2012, Weinheim 2012 (eine Online-Version ist zugänglich: www.dfg.de/foerderatlas). Alle Zahlen im laufenden Text, soweit nicht ausdrücklich andere Quellen angegeben werden, entstammen ebenso wie die Seitenangaben der Printversion dieser Veröffentlichung.
2 Zahlenangaben nach: Anke Burkhardt: »Bewundert und viel gescholten« - Aktuelles vom Arbeitsplatz Hochschule; in: Himpele, Klemens/Keller, Andreas/Ortmann, Alexandra (Hrsg.), 2011: Traumjob Wissenschaft? Bielefeld, S. 19-30
3 Vor dieser Entwicklung hat der Wissenschaftsrat bereits 1982 gewarnt: »Die erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln darf keinesfalls zu Kürzungen bei der Verteilung der Mittel aus dem Hochschuletat führen. In Zeiten knapper Haushaltsmittel besteht die Gefahr, dass hier ein Anrechnungssystem (Drittelmittel als Kompensation für gekürzte oder stagnierende Grundmittel; der Verf.) eingeführt wird. Vor den nachteiligen Folgen eines solchen Systems kann nicht eindringlich genug gewarnt werden. Drittmittel dürfen Haushaltsmittel nicht ersetzen, sondern müssen sie ergänzen.« (Wissenschaftsrat 1982: Zur Forschung mit Mitteln Dritter an den Hochschulen, Köln. S. 57f.)
4 Zur Unparteilichkeit der Wissenschaft – Resolution des 62. DHV-Tages; in: DHV-Jahresbericht 2011
5 Die LOM in NRW wurde 1999 von einer SPD-geführten Landesregierung installiert. Fairerweise soll darauf hingewiesen werden, dass die hier kritisierte Gewichtung des Drittmittelaufkommens vom 2010 abgewählten FDP- Wissenschaftsminister Pinkwart eingeführt wurde. Sie wurde allerdings von dessen SPD-Nachfolgerin beibehalten.
6 Dieser problematische Effekt wurde bereits in den am 5.März 1986 von der GEW veröffentlichten »12 Thesen zur Drittmittelforschung« (Autor: Michael Weber) eindringlich beschrieben: »Der Wettbewerb um Drittmittel veranlasst die Hochschulleitungen in immer mehr Fällen zur internen personellen und sachlichen Stärkung von drittmittelintensiven Forschungsschwerpunkten. Einerseits geschieht dies auf dem Wege von Umschichtungen: Mittel v. a. aus dem Lehrbetrieb der Geistes- und Sozialwissenschaften werden in die Natur- und Technikwissenschaften umgewidmet. Andererseits wird die Mittelverteilung via Grundausstattung in den Hochschulen zu einem entscheidenden Teil an den Erfolg bei der Einwerbung von Drittmitteln geknüpft.« (Quelle: Privatarchiv des Verfassers)
7 Solche Institute haben allein schon von ihrer materiellen Ausstattung her nicht einmal eine theoretische Chance, auch nur jemals in einem der einschlägig relevanten Rankings aufzutauchen. Ein Mitorganisator des Streiks hat diesen und die Situation analysiert: Magnus Treiber: »Streik« - Ein Lehrbeauftragter resümiert Erfahrungen; in: Forum Wissenschaft 2/2008, S. 29-31; Online bei Studis Online
8 Das von 2007 bis 2013 laufende 7. Forschungsrahmenprogramm der EU hat ein Gesamtvolumen von 53,3 Mrd. Euro.
9 Man könnte diese Vorgänge allerdings in – etwas freihändiger – Anlehnung an Arno Klönne als funktionale Privatisierung bezeichnen: die Markt- und Wettbewerbssimulation im Rahmen öffentlicher Finanzierung schafft die Voraussetzung für künftige stärkere private Beeinflussung und Investitionen.
10 Deutsche Forschungsgemeinschaft: Förderranking 2003, S. 127
11 Deutsche Forschungsgemeinschaft: Förderranking 2009, S. 129
12 A.a.O. S. 55-57
13Richard Münch 2011: Akademischer Kapitalismus – Über die politische Ökonomie der Hochschulreform. Berlin 2011, S. 223 f.
14 Wie man sich denken kann, sind an Hochschulen mit technischem Schwerpunkt die relativen Anteile privater Drittmittel (i.d.R. aus der Industrie) höher als dies dem Bundesdurchschnitt entspricht.
15 Richard Münch 2011 a. a. . O. S.279
16 Alfred Kieser: Das Idealbild der Evaluationskonstrukteure – was lehren niederländische Erfahrungen mit Evaluationen universitärer Forschung? In: Forschung & Lehre 8/1998, S. 410-411 (hier: 411)
17 DFG-Pressemitteilung Nr. 24/24.Mai 2012
18 In der Pressearbeit der DFG werden allerdings zwei Ausnahmehochschulen besonders hervorgehoben: das ist einmal die TU Dresden, die sich von Platz 35 (1991-1995) auf aktuell Platz 13 verbessert hat. Das ist weiterhin die Uni Bremen, die im gleichen Zeitraum von Platz 32 auf 21 aufgestiegen ist (Tab 3-1, S.75). Konsequenterweise wurden beide am 15. Juni 2012 auch zu »Eliteuniversitäten« ernannt. Indem beide als Ausnahme die Erwartungshaltung transportieren »Einzelne können es nach oben schaffen, wenn sie sich nur genügend anstrengen!« bestätigen sie allerdings die Regel einer über lange Zeiträume ziemlich fest gefügten Spitzenliga.
19 Richard Münch: Sieger und Besiegte – wie der ökonomische Wettbewerb zunehmend den wissenschaftlichen kolonisiert; in: Forschung & Lehre 7/2001, S. 512-514 (hier: S. 513). Im »Akademischen Kapitalismus«« führt der Autor diesen Gedanken noch weiter aus: »Die Überinvestition von Ressourcen an wenigen Standorten und die Unterinvestition an vielen Standorten führt dazu, dass viele Standorte unterhalb der optimalen Ausstattung liegen. (....) An den reichhaltig ausgestatteten Universitäten bzw. Fachbereichen drückt das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens jenseits der optimalen Ausstattung die Produktivität pro Wissenschaftler. Aufgrund ihres Reichtums können sie zwar eine größere Zahl besonders aktiver und angesehener Forscher an sich binden und dadurch recht hohe Zitationswerte erreichen, trotzdem impliziert ihre Überausstattung bei gleichzeitiger Unterausstattung vieler anderer Standorte eine geringere Produktivität im System, als bei einer optimalen Verteilung der Ressourcen erzielt werden könnte.. Hinzu kommt noch, dass eine geringere Zahl wettbewerbsfähiger Standorte eine niedrigere Erneuerungsrate des Wissens zur Folge hat als eine größere Zahl. « (Münch 2011 a.a.O. S. 315)