Uni Bremen betrieb RüstungsforschungPapiertiger Zivilklausel
Den Stein ins Rollen gebracht hat ein Bericht von Radio Bremen vom Dienstag. Nach Informationen des Rundfunkssenders hat das Uni-Institut für Telekommunikation von 2003 bis 2006 gemeinsame Sache mit dem Raumfahrtkonzern OHB gemacht und indirekt dem Verteidigungsministerium zu Dienste gestanden. Dabei ging es um die Übertragung großer Datenmengen – beispielsweise von einem Kampfjet zu einer Bodenstation. Die Hochschule soll als Unterauftragnehmer der Rüstungsschmiede insgesamt 100.000 Euro vom Ministerium erhalten haben. Ob dabei die seit 1986 bestehende Zivilklausel missachtet wurde, habe die Verwaltung seinerzeit nicht geprüft, räumte Hochschulsprecher Eberhard Scholz ein. "Das ist auf alle Fälle versäumt worden", sagte er gegenüber dem Hamburger Abendblatt.
Vielleicht kein Einzelfall
Vielleicht hat die Uni sogar noch mehr Leichen im Keller. Dem Berliner Tagespiegel gestand der Sprecher, es könnten sich "zwei bis drei" ähnliche Fälle ereignet haben. Laut Radio Bremen hat eine erste Durchsicht weiterer Forschungsprojekte ergeben, dass womöglich auch vom Rüstungskonzern Rheinmetall Geld an die Uni geflossen ist. Rektor Wilfried Müller hat angekündigt, die Angelegenheit eingehend prüfen zu lassen. Man wolle klären, "ob es in den vergangenen zehn Jahren Forschungsprojekte gegeben hat, die einen militärischen Charakter nicht ausschließen", gab er am Dienstag per Medienmitteilung bekannt.
Als Schuldeingeständnis will die Hochschulleitung das aber nicht verstanden wissen. Im fraglichen Fall habe es sich um "Grundlagenforschung" gehandelt, die gewonnenen Erkenntnisse könnten auch im zivilen Bereich Anwendung finden. Gegenüber Radio Bremen behauptete Müller, die entwickelte Technologie sei der "gesamten Gesellschaft von Nutzen", weil sie beispielsweise digitales Fernsehen ermögliche. Gleichwohl wäre das Projekt "mit der aktuellen Sensibilität beim Thema Zivilklausel (...) mit Sicherheit intensiv diskutiert worden". Die Worte sollen wohl suggerieren: Die Sache an sich geht schon in Ordnung, nur hätte man darüber reden müssen.
AStA für gesetzliche Regelung
Beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Uni Bremen will man sich so nicht abspeisen lassen. Die Studierendenvertreter sind seit langem davon überzeugt, "dass es an der Universität Bremen Rüstungsforschung gibt". Mit den nun vorliegenden Ergebnissen lasse sich das nicht mehr leugnen, äußerte sich AStA-Referent Tim Ruland in einer Presseerklärung. "OHB als Auftragnehmer der Bundeswehr ist ein Rüstungsunternehmen, daran gibt es spätestens jetzt keinen Zweifel mehr." Der Fall sei deshalb auch ein Beleg für das Scheitern der Zivilklausel. "Eine Selbstverpflichtung seitens der Hochschulen ist ein gut gemeintes, jedoch offenbar nutzloses Instrument", so AStA-Chef Stefan Weger. Es komme nun darauf an, eine "landesweite, legislative Regelung" durchzusetzen. "Die Hochschulen müssen auf zivile Forschung verpflichtet werden", Forschungsprojekte "transparent und einsehbar sein, damit solche Fälle nicht einfach wieder unter den Tisch gekehrt werden können".
Gut und richtig ist, was Arbeit schafft?!
"Der Frieden gefährdet Arbeitsplätze" - Plakat von Klaus Staeck, 1978.
Quelle: www.klaus-staeck.de
Die Zivilklausel an der Uni Bremen besteht seit 1986 und gilt als Errungenschaft der Friedensbewegung. Die Regelung besagt, dass "jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung" vom Akademischen Senat abgelehnt wird. Die Kausel verlangt ferner von den Mitgliedern der Universität, "Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können". Erst Ende Januar hatte der Akademische Senat als höchstes Entscheidungsgremium der Hochschule mit großer Mehrheit die Beibehaltung der Zivilklausel beschlossen.
Zivilklausel unter Beschuss
Vorausgegangen war dem eine Reihe an Vorstößen, die Klausel aufzuweichen. Im Zentrum stand dabei ausgerechnet der OHB-Konzern: Dessen Chef Marco Fuchs hatte die Uni Anfang 2011 unverblümt aufgefordert, als Gegenleistung für die Einrichtung einer Stiftungsprofessur für Raumfahrttechnik eine Änderung der Zivilklausel vorzunehmen. Der Erpressungsversuch rief 63 Professoren auf den Plan, die sich in einem gemeinsamen Appell gegen das Ansinnen aussprachen. Eine Verankerung der Zivilklausel im Bremischen Hochschulgesetz konnten aber auch sie nicht durchsetzen, die fünf staatlichen Hochschulen des Landes verweigerten sich dem Anfang März mit Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit.
Zur Wissenschaftsfreiheit gehört es heute wie selbstverständlich auch, möglichst viele Drittmittel einzutreiben. Und wo es um viel Geld geht, müssen pazifistische Ideale auch mal zurückstehen. Im strittigen Fall waren laut Rektor Müller die "öffentlich zugänglichen Forschungsergebnisse (...) die Grundlage für anschließend eingeworbene Drittmittelprojekte der Deutschen Forschungsgemeinschaft". Allein im Jahr 2003 sei "bei 65 Millionen Euro Drittmitteleinwerbungen keine zusätzliche Prüfung des Projekts im Kontext der Zivilklausel erfolgt", so Müller in seiner Stellungnahme. Das zeigt: Das Engagement für OHB bzw. das Verteidigungsministerium dürfte sich sehr vier stärker bezahlt gemacht haben als nur durch die direkt erhaltenen 100.000 Euro.
Finanznot schafft Abhängigkeiten
Vor diesem Hintergrund setzt sich auch die Partei Die Linke für eine gesetzliche Neuregelung ein. "Notwendig wäre eine klare Verankerung des Rüstungsforschungsverbots im Hochschulgesetz, das verbunden werden müsse mit einem Kontrollorgan mit entsprechend eindeutigen Kompetenzen", bekundete die Vorsitzende der Linksfraktion in der Bremer Bürgerschaft, Kristina Vogt, in einer Pressemitteilung. "Ohne eine solche Institutionalisierung wären die Hochschulen angesichts ihrer chronischen Unterfinanzierung nicht in der Lage zu verhindern, dass öffentliche Gelder an öffentlichen Hochschulen für Rüstungszwecke missbraucht würden." Wenngleich die SPD nun öffentlich dieselbe Meinung vertritt, hat sie einem entsprechenden Parlamentsantrag der Linken im März die Zustimmung verweigert. (rw)