UniGestaltenWie ein Ideenwettbewerb Mitwirkung simuliert
UniGestalten ist eine Art Kummerkasten: Das mehr als Werbung des Stifterverbands in eigener Sache daraus wird, ist eher unwahrscheinlich
Das Mantra der Macher von "UniGestalten" geht so: "Hör auf zu meckern, tu was!" Wer sich mit den Widrigkeiten des Studentendaseins nicht abfinden mag und die Miesepeterei der anderen dicke hat, trete in Aktion. "Unser Ziel ist es, neue Perspektiven für den Alltag an unseren Hochschulen auszuloten und konkrete Lösungsvorschläge zu entwickeln", verkünden die Initiatoren, denn "wir glauben daran, dass auch kleine Ansätze viel verändern können", dass "jeder einzelne etwas bewegen kann." Das klingt nach Aufbruch, nach echtem Pioniergeist, und dafür braucht es Menschen mit Mumm, Esprit und "Innovationskraft". Jeder Einzelne habe "seine eigenen Erfahrungen im Unibetrieb gesammelt und kann mit konkreten Ideen das Leben und Arbeiten an der Hochschule von morgen gestalten".
5000 Euro für den Sieger
Natürlich soll der Aufwand nicht ganz umsonst sei – ideell wie materiell. Geld- und Sachpreise im Wert von insgesamt 15000 Euro lässt der Stifterverband für die "gute Sache" springen. Für den ersten Platz winken 5000, den zweiten 3000, den dritten 1500 Euro. Bei Rang vier bis zehn gibt es jeweils 500 Euro. Genau 688 Studierenden, Ehemaligen und Hochschulangestellten war dies Anreiz genug, ihre Köpfe rauchen zu lassen. Herausgekommen sind während der neunwöchigen Laufzeit 462 Konzepte, von denen die "besten" in die engere Wahl kamen und Mitte März vor einer achtköpfigen Jury unter Vorsitz des Münchner Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin präsentiert wurden. Die Sieger stehen seit vergangener Woche fest und werden Ende Juni bei einer Festveranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin geehrt.
Dem ganzen Brimborium zum Trotz fiel die mediale Begleitung des Events bisher nicht unbedingt im Sinne seiner Erfinder aus. Das Hochschulmagazin duz sorgte sich in seinem Beitrag (der auch bei SPIEGEL ONLINE erschien) vor allem um die "nicht gerade beneidenswerte Jury". Der Tenor des Artikels: Der Student von heute schert sich nicht um das große Ganze, sondern wolle nur "besseres Essen und ein wenig mehr Bewegungsfreiheit". Man werde den Eindruck nicht los, "dass die Studienbedingungen in dieser Republik vor allem nach der Bequemlichkeit der Sitzmöbel oder den örtlichen Freizeitmöglichten beurteilt werden", schreibt der Autor und stempelt den Durchschnittstudenten von heute zum unpolitischen Hedonisten.
"Schlafboxen" gegen den Unistress
Zugegeben: Der Ruf nach Sitzsäcken, Hängematten und Sesseln hat an sich nichts revolutionäres. Aber profane Bedürfnisse wie die nach Ruhe und Entspannung greifen nun einmal naturgemäß da um sich, wo Stress und Gedränge an der Tagesordnung sind. So betrachtet, könnte selbst in Martins Verlangen nach "Schlafboxen" eine Regung stillen Aufbegehrens gegen das rigide Arbeits- und Zeitregiment im Bachelor- und Master-Apparat schlummern. Und wenn sich Alexander aus Lüneburg wünscht, jeder Student möge im überfüllten Hörsaal mittels Anwahl einer Gratisnummer per Handy und Lautsprecher für alle vernehmbar zu Wort kommen können, dann klingt darin doch unüberhörbar der Abgesang auf die Massenhochschule von heute an. Vielleicht hat das ja auch die Jury von "UniGestalten" durchschaut und Ungemach gewittert. Besagte und ähnliche Anregungen schafften es jedenfalls nicht in die engere Auswahl.
Um nicht falsch verstanden zu werden. Wenn Studierende sich für eine bessere Hochschule engagieren, ist das zu begrüßen und aller Ehren wert. Und auch jeder einzelne im Rahmen von UniGestalten gemachte Vorschlag verdient Respekt, egal ob er politisch ist, unpolitisch oder politisch korrekt. Die Frage ist aber: Wie stehen die Chancen, dass die Bemühungen am Ende wirklich nachhaltige Verbesserungen hervorbringen? Von den 462 Ideen haben über 450 schon mal ziemlich schlechte Karten, umgesetzt zu werden. Sie gehören nicht zu den zehn Gewinnern und erhalten keinen Cent Förderung. Aber sind die Voraussetzungen mit 500 und selbst mit 5000 Euro so viel besser?
Die Grenzen von Eigeninitiative
Beispielsweise wollen die Zehntplatzierten einen "Raum für gute Ideen" einrichten, wo man vor Publikum zu Übungszwecken Referate und Präsentationen darbieten kann. Ein guter Ansatz, ohne Frage. Allerdings braucht es dafür eine wohlwollende Hochschulleitung, die einen Raum und das nötige technische Equipment zur Verfügung stellt. Mindestens an letzterem hapert es wohl schon, die Initiatoren hoffen auf einen Sponsor, der ihnen eine Kamera finanziert. Und wer unterhält die Technik, wer regelt die Raumbelegung, wer treibt das Publikum auf? Kurzum: Wie will man das Projekt inhaltlich und personell auf Dauer am Laufen halten? Wenn die Uni nicht mitzieht und das Angebot nicht institutionalisiert, verläuft sich die Eigeninitiative von Lernenden und Lehrenden irgendwann im Sande.
An diesem Punkt wird die ganze Zahnlosigkeit und Scheinheiligkeit von "UniGestalten" offenbar. Der Status quo einer massiv unterfinanzierten deutschen Hochschullandschaft wird als quasi schicksalhafte Tatsache unterstellt. Ansporn soll es nicht sein, die allgemein schlechte Lage zu verbessern, sondern "für sich" das Beste daraus zu machen. Man wolle zeigen, "dass nicht nur große strukturelle Entscheidungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik etwas verändern können", sondern jeder einzelne dazu fähig sei, lassen sie Initiatoren wissen. Einerseits dockt das an das liberale Leitbild des Homo oeconomicus an, der in "Eigenverantwortung" für sich selbst sorge, um das Wohl aller zu mehren. Dem Weltbild dahinter entspricht zudem die Masche, "Wohltätigkeit" als Wettbewerb zu organisieren. Nur Leistung lohnt sich. Von nichts kommt eben nichts.
Ablenkung von der Hochschulmisere ...
Anderseits lenkt der Stifterverband mit seinem vermeintlichen Einsatz für Verbesserungen auch davon ab, dass die Hochschulen in ihrem momentanen, schlechten Zustand eigentlich ganz nach seinem Geschmack und dem der von ihm repräsentierten Unternehmerschaft sind. Sie haben durch ihre politische Lobbyarbeit sogar maßgeblich dazu beigetragen, dass die öffentliche Grundversorgung der Hochschulen zurückgefahren, der Einfluss der Wirtschaft auf Wissenschaft und Forschung ausgebaut und höhere Bildung zum profitablen Geschäft gemacht wurde. Ihr Zustand relativer Mittellosigkeit versetzt Akteure wie den Stifterverband und andere Nutznieser überhaupt erst in die Lage, sich als Heilsbringer für Hochschulen und Studierende in Szene zu setzen.
Der Stifterverband hätte gewiss allerhand aufzubieten, Veränderungen "im großen" anzustoßen. Er könnte zum Beispiel eine Kampagne für eine Steuerreform starten, die hohe Einkommen, Vermögen und Unternehmensgewinne stärker belastet und so die Einnahmen und die Handlungsfähigkeit des Staates steigert. Aber statt auf diesem Wege Milliarden – auch für die Hochschulen – zu mobilisieren, macht der Verein lieber kümmerliche 15000 Euro locker und mimt den generösen Wohltäter.
Ins Bild passt da auch, welche Projekte bei UniGestalten ganz weit vorne landeten. Platz drei ging an eine "Mikrospendenkampagne zur Finanzierung eines Deutschlandstipendiums für tendenziell drittmittelschwache Fächer". Dabei wurden im Sommer 2011 zur Langen Nacht der Wissenschaften an der TU Dresden 1800 Euro eingesammelt, die sich mittels Kofinanzierung durch Bund und Länder auf 3600 Euro verdoppelten und einem Studierenden der Philosophischen Fakultät zugute kamen. Ist das nicht herzerweichend? Nicht unbedingt: In aller Regel gehen Stipendien an Kinder aus reichen Elternhäusern, während Bewerber aus ärmeren Familien überdurchschnittlich oft in die Röhre schauen (vgl. bspw. hier). Das Förderinstrument verschärft die sozialen Ungerechtigkeiten im deutschen Bildungssystem nur noch zusätzlich. Daran stört sich der Stifterverband allerdings nicht, im Gegenteil: Er ist selbst betreibt ein "Zentrum Begabtenförderung" und "bündelt mit seinen Akademien und Wettbewerbern ein vielfältiges Förderangebot für junge Talente". Platz drei der besten "UniGestalter" kann deshalb auch unter Werbung in eigener Sache verbucht werden.
... und PR-Show für den Stifterverband
Wie überhaupt die ganze Veranstaltung zu aller erst eine PR-Show für den Stifterverband ist. Und deshalb machen auch nicht irgendwelche Projekte das Rennen, sondern solche, die die eigene Botschaft am besten transportieren. Rang zwei mutet denn auch wie ein Pendant von "UniGestalten" in Miniaturform an. "Demokratix" ist ein "Onlinewerkzeug für mehr Transparenz und Mitbestimmung an der Hochschule" und verspricht das, was auch "UniGestalten" vorgaukelt: Mitwirkung, wo es wenig bis gar nichts mitzuwirken gibt. Entwickelt an der Universität Augsburg, soll die "Lehr-Lern-System" dort dazu dienen, "Verbesserungspotenziale in Studium und Lehre zu identifizieren, um den demokratischen Meinungsbildungsprozess in bestehenden Gremien zu unterstützen. Studierende weisen auf Probleme hin, schlagen Lösungen aus ihrer Sicht vor oder bewerten bereits eingereichte Lösungen." Auch das ist sicherlich gut gemeint. Nur geht diese Art der Demokratie mit keinerlei Rechten und Mitteln einher, mit denen sich Vorschläge am Ende auch durchsetzen ließen. Auch hier gilt: Macht die Unileitung nicht mit, weil Wille oder Geld fehlen, sind die schönsten Ideen für die Katz. "Demokratix" ist angesichts dessen nur eine Simulation von Demokratie.
Eine schöne Idee ist ganz sicher auch student.stories, deren Macher den ersten Platz und damit die 5000 Euro Preisgeld abgeräumt haben. Das ebenfalls an der Uni Augsburg ersonnene Projekt soll insbesondere den Austausch zwischen deutschen und internationalen Studierenden fördern und letzteren helfen, sich in der für sie fremden Kultur und im deutschen Studiensystem besser zurechtzufinden. Dazu produzieren Studierende Audiobeiträge (Podcasts) zu diversen Themen und stellen diese – bisweilen auch in andere Sprachen übersetzt – online. Das sei gut für die Sprachkenntnisse und die Integration, sagen die Initiatoren. Besser wäre es freilich, die eigentlich mit solchen Aufgaben betrauten Studentenwerke mit mehr Geld und Personal auszustatten – und das nicht nur in Augsburg sondern überall in Deutschland. Dafür macht sich der Stifterverband allerdings nicht stark. (rw)