Wahlprüfsteine HochschulpolitikAntworten von Bündnis 90/Die Grünen Berlin
BAföG / Studienfinanzierung
Was für eine Position vertreten Sie in Bezug auf die (Weiter-)Entwicklung der finanziellen Förderung von Studierenden durch das BAföG? Könnten Sie sich auch eine grundsätzlichere Reform vorstellen – sei es in Richtung reine Kreditfinanzierung oder in Richtung einer elternunabhängiger Förderung (und entsprechendem Umbau des Unterhaltsrechts und anderer staatlicher Transferleistungen für Familien)?
Eine reine Kreditfinanzierung kommt für uns nicht in Frage. Bildung und der Zugang zu Bildung sind eine Frage der Gerechtigkeit, und nicht nur eine Frage von Investition in Humankapital. Verschuldung hält gerade jene vom Studium ab, die aus weniger begüterten Elternhäusern kommen. So etwas ist das Gegenteil von Gerechtigkeit – und gesamtgesellschaftlich betrachtet dumm. Allerdings ist die Bafög-Frage und die Frage nach dem Umbau des Sozial- und Transferleistungssystems in Deutschland keine landespolitische Frage, weswegen auch eine grüne Regierung in Berlin nur zusammen mit den anderen Bundesländern eine Lösung finden kann. Dafür setzen wir uns ein.
Seit dem Sommersemester gibt es das "Deutschlandstipendium", das den "Leistungsstärksten" pro Monat 300 Euro – je zur Hälfte finanziert durch den Bund und private Sponsoren – einbringt.
Wie ist Ihre grundsätzliche Einstellung zu leistungsabhängigen staatlichen Stipendien im Verhältnis zum BAföG?
Bündnis 90/Die Grünen stehen dem Grundgedanken, dem das "Deutschlandstipendium" folgt, sehr kritisch gegenüber. In unseren Augen handelt es sich dabei um eine reine "Wer hat, dem wird gegeben"-Umverteilungsstruktur, von der diejenigen, die ohnehin schon die besseren Ausgangschancen haben, auch noch finanziell profitieren. Passt hervorragend zum bildungspolitischen Profil der schwarz-gelben Bundesregierung – aber wir lehnen so etwas ab! Den zustiftenden Unternehmen dient es nach eigenen Aussagen vor allem dazu, frühzeitig Personalrekrutierung zu betreiben. Wir sehen nicht ein, warum diese Rekrutierung zur Hälfte vom Staat bezahlt werden muss. Außerdem fehlt dem "Deutschlandstipendium" jegliche Einbettung in Beratungs- und Unterstützungsleistungen während des Studiums, wie seriöse Programme sie bieten. In Berlin kommt dazu, dass es sogar an Zustiftern mangelt – das Programm funktioniert schlicht weg nicht.
Daher würden wir diese Gelder lieber in die Weiterentwicklung und Finanzierung des BAföGs investiert sehen.
Universitäts- / Hochschulentwicklung
Die Universitäts- und Hochschulentwicklung der letzten Jahre orientierte sich in starkem Maße am Leitbild der "unternehmerischen Hochschule im weltweiten Wettbewerb", wie es vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) propagiert wird. Dieses Leitbild steht jedoch derzeit in Frage. Im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in Baden-Württemberg wird bspw. festgehalten, dass es "noch nie zu den Hochschulen gepasst" habe.
An welchen Leitlinien sollte sich die Hochschulentwicklung Ihrer Meinung nach orientieren?
Je nach Hochschultyp und Ziel der Hochschule unterschiedlich. In Berlin haben wir auf engem Raum eine sehr vielfältige Hochschullandschaft, und jede einzelne Hochschule hat ein eigenes Profil und eigene Strategien. Und genau das wollen wir – Vielfalt und Gesellschaftsnähe. Denn keine einzelne Institution kann alle Anforderungen bedienen, die eine moderne Gesellschaft unweigerlich hat. Hochschulen sind außerdem keine Unternehmen, die im klassischen Sinne gewinnorientiert arbeiten müssen. Wissenschaft funktioniert völlig anders – vor allem, da Fehlerfreudigkeit, Risikobereitschaft und eine offene und sensible Haltung für Themen in Forschung und Lehre eine Grundvoraussetzung für ihren Erfolg sind. Wissenschaftsnah – und Lebensnah. Das sind zwei Prämissen, die wir für gute Leitlinien halten. Die dritte ist "so autonom wie möglich" - begleitet durch eine vernünftige akademische Selbstverwaltung. Auf unserer Webseite finden Sie auch mehr Informationen, wie wir uns eine moderne Hochschule vorstellen.
Im Zuge der forcierten Einwerbung von "Drittmitteln" durch Universitäten und Hochschulen kommt es in den letzten Jahren auch verstärkt zu Kooperationen zwischen privaten Konzernen und öffentlichen Universitäten und Hochschulen. Exemplarisch können der "Sponsor- und Kooperationsvertrag" zwischen Deutscher Bank und TU und HU Berlin (siehe hier) und die geheime Forschungskooperation zwischen Bayer HealthCare AG und Universität Köln (siehe hier) gelten.
Wie bewerten Sie diese Fälle und wie sieht Ihr wissenschaftspolitisches Programm in Bezug auf solche Kooperationen aus?
Der eigentliche Skandal ist, dass solche Verträge in der Wissenschaftslandschaft Berlin mittlerweile leider "normal" sind. Die drastischen Einsparungen an den Berliner Universitäten, die von der großen Koalition begonnen und unter rot-rot munter fortgesetzt wurden, haben nicht nur fast ein Drittel aller Fachgebiete ("Professuren") gekostet – sie haben durch die damit verbundene Umstrukturierung der Hochschulfinanzierung die Universitäten auch zu abhängig von der Akquise sogenannter Drittmittel gemacht. In der Konsequenz sind die Universitäten von den jeweiligen Geldgebern schlicht erpressbar, wenn sie ihren Betrieb auf dem erforderlichen Niveau (in Forschung UND Lehre) aufrecht erhalten wollen.
Auch wenn es von den Universitäten heißt, dass z.B. die Deutsche Bank nie direkten Einfluss auf Forschung und Lehre genommen hat, ändert das die rechtliche Situation nicht. Die Möglichkeit bestand und besteht auch noch bei anderen Verträgen mit anderen Partnern jederzeit. Wir sehen diese Verträge unter dem Aspekt von Freiheit von Forschung und Lehre daher kritisch: die Umsetzung und Erfüllung einer vertraglich antizipierten Erwartung durch die Unis und die immer stärkere Ausrichtung auf Marktinteressen von Einzelunternehmen hat nun mal die Einschränkung von "freien" Forschungsaktivitäten an anderer Stelle zur Folge – denn die Mittel sind knapp.
Während wir grundsätzlich die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft begrüßen, muss man sehr deutlich hinterfragen, wer wann eigentlich den größeren Nutzen zieht, und ab wann ein solcher Vertrag zu Ungunsten der öffentlichen Institution und damit auch des Landes geht.
An immer mehr öffentlichen Universitäten und Hochschulen wird Rüstungs- oder anderweitig militärisch relevante Forschung betrieben. Gegen diese Entwicklung regt sich vielerorts Widerstand und es wird die Einrichtung von "Zivilklauseln", die die Verpflichtung, ausschließlich Forschung für "zivile Zwecke" zu betreiben, beinhalten. Wie stehen Sie dazü
In Berlin haben wir solche "Zivilklauseln" an den Hochschulen bereits seit vielen Jahren – z.B. an der TU Berlin, die sich damit mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt hat und es immer wieder tut. Wir halten dies für wichtig und gut. Rüstungsforschung gehört nicht an staatlich finanzierte Hochschulen. Allerdings zeigt jede neue Debatte in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung, dass die Trennlinie zwischen "Militärforschung", und Forschung deren Ergebnisse auch für militärische Zwecke (miss)braucht werden könnte, bis hin zu "rein ziviler" Forschung sehr schwer zu ziehen ist. Diese Debatte muss aber immer wieder neu geführt werden, da sich jedeR WissenschaftlerIn und jede Institution bewusst mit den Folgen ihrer und der Verantwortung für ihre Forschung auseinandersetzen muss.
Wie bewerten Sie die derzeit bestehenden demokratischen Strukturen innerhalb der Hochschulen? Sehen Sie Entwicklungsbedarf und wenn ja, welchen? Wie stehen Sie zu der Forderung eine Viertelparität zwischen Studierenden, Mittelbau, Technischem Personal und Professoren in allen Gremien festzuschreiben?
Grundsätzlich halten wir die Demokratisierung an vielen Berliner Hochschulen für deutlich weiter fortgeschritten als in anderen Bundesländern. Leider nicht an allen – und den Trend zu immer weniger Mitbestimmung wollen wir umkehren. Wir sehen allerdings ebenso, dass gerade in Berlin unsere Hochschulen so vielfältig und unterschiedlich geworden sind, dass kein System für alle passen kann. Daher fordern wir, dass jede Hochschule ein satzungsgebendes Grundordnungsgremium haben muss, das viertelparitätisch besetzt ist. Und dass gegen das Veto einer Statusgruppe keine Gremienstruktur beschlossen werden kann. Das heißt, dass dann alle Statusgruppen gefordert sind, gemeinsam eine für ihre Hochschule passende Entscheidungsstruktur auszuhandeln und umzusetzen. Ob die Viertelparität dann in allen Gremien umgesetzt wird, liegt in den Händen der Statusgruppen – das möchten wir nicht vorgeben. Wir haben z.B. gute Erfahrung gemacht, wenn in Kommissionen für Studium und Lehre die Studierenden die Mehrheit haben. Das sollte man nicht per Gesetz verhindern.
Hochschulfinanzierung
Der Anteil der staatlichen Grundmittel für die Finanzierung der Hochschulen ist von 1980 bis 2007 von 72,3 auf 50,1 Prozent gesunken, während im gleichen Zeitraum die Finanzierung über Drittmittel- und Verwaltungseinnahmen deutlich zugenommen haben.
Wie stehen Sie dazu, dass die öffentliche Finanzierung der Hochschulen in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zurückgefahren wurde und wie gedenken Sie die Haushaltspolitik im Bereich der Hochschulen zu gestalten?
Besser. Wir haben zu den von Ihnen beschriebenen Problemen noch einige für Berlin spezifische, wie z.B. die Regelung, dass die Pensionen für HochschullehrerInnen nicht vom Land sondern aus den Hochschulhaushalten bezahlt werden müssen – und diese Pensionslasten steigen jedes Jahr deutlich an. Außerdem wurde den Berliner Hochschulen bereits seit 2003 insgesamt ein Drittel des Landeszuschusses gestrichen. Wir haben in Berlin also schon eine Kürzungsrunde hinter uns, wie sie jetzt in einigen anderen Bundesländern angefangen wird. Hinzu kommt in Berlin ein hoch kompliziertes Finanzierungssystem, dass im Ergebnis aus der Hochschulfinanzierung eine Blackbox macht. Wir wollen als ersten Schritt diese Blackbox auflösen und die Hochschulfinanzierung transparent und ehrlich rechnen. Dazu gehört z.B., dass die Pensionslasten wieder vom Land getragen werden und die sogenannte Sockelfinanzierung unabhängig von Bundesprogrammen, Drittmitteln o.ä. garantiert wird. Als zweites wollen wir die Grundfinanzierung wieder deutlich ausbauen, da wir aus dem Teufelskreis der Projektgeberabhängigkeit ausbrechen wollen. Im Moment existiert kein sinnvolles Gleichgewicht zwischen Drittmitteln und Grundfinanzierung, mit all den negativen Konsequenzen die das hervorruft. Da wollen wir ran.
Der fehlende Ausbau der Ressourcen für den Bildungsbereich wird politisch in der Regel mit fehlenden Ressourcen begründet. Sehen Sie Alternativen zu der aktuellen Spar- und Kürzungs-Haushaltspolitik (Austeritätspolitik), die in Form der "Schuldenbremse" mittlerweile ins Grundgesetz aufgenommen wurde und wenn ja, welche?
Grundsätzlich ist eine Politik der Haushaltskonsolidierung richtig – sonst werden die Schulden der letzten Jahre einfach auf die nächste Generation übertragen. Nachhaltig ist das nicht. Dies muss aber mit Augenmaß geschehen. Aus Berliner Sicht kann man nur nur sagen, dass jeder Euro den wir hier in die Hochschulen stecken, eine dreimal höhere Nachfrage in der Stadt schafft. Rein wirtschaftlich betrachtet lohnt sich also die Investition in die Berliner Hochschulen für das Land. Das Problem ist in Berlin allerdings der enorm hohe Investitionsstau, der sich an den Hochschulen, der Charité, den Schulen, den Krankenhäusern und vielen anderen öffentlichen Institutionen seit mehr als zehn Jahren aufgehäuft hat.
Unser größtes Problem sind nicht die schlauen Köpfe in die wir investieren könnten, sondern die Gebäudedecken, die auf die selbigen fallen, wenn niemand was tut. Wir halten das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in Sachen Bildung für falsch und setzen uns dafür ein, dass es so schnell wie möglich fällt. Solange wir einen bundesdeutschen und sogar einen europäischen Hochschulraum haben, müssen Bund und Länder gemeinsam finanzieren, und das verlässlich und unabhängig von Einzelprogrammen. Sogar die Europäische Union hat das erkannt und ist bereit Gelder zu investieren, dass bis 2020 mindestens 40% der Menschen eines Landes zwischen 30 und 34 Jahren einen Hochschulabschluss haben. Da sollten wir nicht hinter zurück fallen.
Studienorganisation
Der Bachelor-Abschluss wird aktuell für viele Studierende zur Sackgasse, da es vielfach nicht genügend Master-Studienplätze gibt, um die Nachfrage zu decken. Wie stehen Sie zu der Forderung, den Anspruch auf einen Master-Studienplatz im eigenen oder einem verwandten Fach gesetzlich zu verankern?
Zwiespältig. Grundsätzlich spricht nichts gegen den Anspruch und er deckt sich mit unseren politischen Zielen. Allerdings müsste man das zwischen den Bundesländern gemeinschaftlich regeln, da man sonst wieder die Durchlässigkeit zwischen den Hochschulen und Hochschultypen massiv beschneidet. Und das möchten wir nicht – Berlin würde da im Alleingang sehr schnell zu einer Bildungsfestung im negativen Sinne werden. Daher setzen wir darauf, genügend Studienplätze im Master zu schaffen, dass die Nachfrage weitestgehend bedient werden kann – wohl wissend, dass dieses Problem vor allem in bestimmten Studienfächern auftritt und in anderen Bereichen fast nicht existiert. Solange nicht alle Bundesländer an einem Strang ziehen, ist das in unseren Augen die bessere Lösung, als BewerberInnen aus anderen Teilen der Bundesrepublik im Regen stehen zu lassen.
Die Reformierung der Studienstruktur im Zuge des Bologna-Prozesses ist weiterhin umstritten. So wird u.a. von Seiten der TU 9 (Zusammenschluss der neun größten Technischen Universitäten Deutschlands) eine Rückkehr zum Diplom gefordert und Studiengänge wie Medizin oder Jura immer noch mit den alten Abschlüssen angeboten.
Sollte es den Hochschulen ermöglicht werden, souverän über die Struktur und die Abschlüsse ihrer Studiengänge zu entscheiden?
Nein. Wir glauben, dass das ohnehin schon unübersichtliche Studienangebot damit noch undurchsichtiger werden würde. Damit gewinnen weder die Hochschulen, noch die Studierenden. Wir sehen, dass die Bolognareform bislang an vielen Punkten nicht hält was versprochen wurde. Aber das macht ihre Ziele nicht falsch. Wir wollen daran arbeiten, dass die Studienreform endlich auch Qualität und Studierbarkeit mit einschließt. Das ist viel wichtiger als die Frage, wie man dann den Abschluss nennt.
Wie wollen Sie die Hochschulen für Menschen ohne Abitur öffnen?
Ganz normal – mit einem sinnvollen Berliner Hochschulgesetz und einem vernünftigen Hochschulzulassungsgesetz. Einiges ist schon jetzt in der Theorie möglich, scheitert dann aber leider an der Umsetzung. Um mehr Menschen ohne Abitur an die Hochschulen zu bringen – was wir gerne möchten – brauchen wir transparente und verbindliche Anerkennungsregeln. Die Frage ist, wie genau eine berufliche Ausbildung im Vergleich zum Abitur bei der Bewerbung auf einen Studienplatz bewertet wird, und diese Vorgaben müssen zwischen Land und Hochschulen ausgearbeitet werden. Allerdings brauchen wir insgesamt mehr Studienplätze, da die Betroffenen sonst wie alle anderen im Zweifelsfall am Studienplatzmangel scheitern.
Die andere Frage ist dann, was für ein Studienangebot für diese "neue" Zielgruppe eigentlich attraktiv ist. Wir wollen die Hochschulen dabei unterstützen, ihre Studienangebote auf neue Zielgruppen auszurichten. Denn mit Studienplätzen und dem Zulassen ist es nicht getan. Das Studium selber muss dann auch für bislang eher untypische Studierende attraktiv und organisierbar sein. Da ist noch viel zu tun.