Wahlprüfsteine HochschulpolitikAntworten der SPD Berlin
BAföG / Studienfinanzierung
Was für eine Position vertreten Sie in Bezug auf die (Weiter-)Entwicklung der finanziellen Förderung von Studierenden durch das BAföG? Könnten Sie sich auch eine grundsätzlichere Reform vorstellen – sei es in Richtung reine Kreditfinanzierung oder in Richtung einer elternunabhängiger Förderung (und entsprechendem Umbau des Unterhaltsrechts und anderer staatlicher Transferleistungen für Familien)?
Seit dem Sommersemester gibt es das "Deutschlandstipendium", das den "Leistungsstärksten" pro Monat 300 Euro – je zur Hälfte finanziert durch den Bund und private Sponsoren – einbringt.
Wie ist Ihre grundsätzliche Einstellung zu leistungsabhängigen staatlichen Stipendien im Verhältnis zum BAföG?
Leistungsorientierte Förderung über Stipendien kann eine sinnvolle Ergänzung sein. Wir wollen aber das bedarfsorientierte Finanzierungsmodell des BAFöG nicht durch solche Formen ersetzen. Die bedarfsorientierte Förderung muss die Basis bilden, um auch sozial ungerecht wirkende Bildungsauslese-Prozesse zu vermeiden. Die bedarfsorientierte Förderung ist für uns ein Gebot der Sozialstaatlichkeit und unbedingt zu erhalten.
Universitäts- / Hochschulentwicklung
Die Universitäts- und Hochschulentwicklung der letzten Jahre orientierte sich in starkem Maße am Leitbild der "unternehmerischen Hochschule im weltweiten Wettbewerb", wie es vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) propagiert wird. Dieses Leitbild steht jedoch derzeit in Frage. Im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in Baden-Württemberg wird bspw. festgehalten, dass es "noch nie zu den Hochschulen gepasst" habe.
An welchen Leitlinien sollte sich die Hochschulentwicklung Ihrer Meinung nach orientieren?
Wir begrüßen den Wettbewerb als einen wichtigen Motor für Innovationen. Das gilt auch im Wissenschaftsbereich. Deshalb hat die SPD unter der rotgrünen Bundesregierung und der Großen Koalition die Exzellenzinitiative im Hochschulbereich ins Leben gerufen. Wettbewerb ist das Suchen nach den besten Lösungen. Das hat die Wissenschaft schon immer angespornt. Deshalb lehnen wir es ab, die Hochschulen in einen rein ökonomischen Konkurrenzkampf um die vorhandenen Ressourcen zu treiben. Zusätzliche Mittel oben drauf als Preis für besondere Leistungen und eine solide Grundfinanzierung von Forschung und Lehre schließen sich nicht aus. Wir haben in Berlin mit den Hochschulverträgen für die Hochschulen eine gesicherte finanzielle Basis geschaffen, mit denen sie längerfristig rechnen und planen können.
Im Zuge der forcierten Einwerbung von "Drittmitteln" durch Universitäten und Hochschulen kommt es in den letzten Jahren auch verstärkt zu Kooperationen zwischen privaten Konzernen und öffentlichen Universitäten und Hochschulen. Exemplarisch können der "Sponsor- und Kooperationsvertrag" zwischen Deutscher Bank und TU und HU Berlin (siehe hier) und die geheime Forschungskooperation zwischen Bayer HealthCare AG und Universität Köln (siehe hier) gelten.
Wie bewerten Sie diese Fälle und wie sieht Ihr wissenschaftspolitisches Programm in Bezug auf solche Kooperationen aus?
Wir wollen, dass sich die Hochschulen der Gesellschaft öffnen und praxisrelevante Forschung betreiben. Dafür sind auch Drittmittel sinnvoll. Aber nicht nur private Konzerne können Drittmittel für Forschungsaufträge bereitstellen, sondern auch öffentliche Institutionen, Verbände der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften. Schon lange gibt es gewerkschaftliche Kooperationsstellen in den Universitäten.
Eine intelligente Wachstumspolitik braucht strategische Allianzen zwischen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Eine enge Verzahnung zwischen Unternehmen und Berliner Forschungs- und Hochschuleinrichtungen werden wir durch Forschungsallianzen gezielt fördern. Wir wollen das Instrument der Hochschulverträge künftig auch dazu nutzen, die Hochschulen noch stärker mit der Berliner Industrie zu verknüpfen. Wir entwickeln strategische Partnerschaften zwischen Industrie, Dienstleistungsunternehmen und Wissenschaftseinrichtungen und optimieren bestehende Transferprogramme.
Wir werden Partnerschaften zwischen Wissenschaft und Berliner Industrieunternehmen auch unter dem Gesichtspunkt fördern, dass in Berlin ausgebildete Fachkräfte in der Stadt bleiben. In Berlin gibt es viele wissensgetriebene Industriebetriebe – große wie kleine – die abhängig sind von produktionstechnischem Know-how und Ingenieur- und Marktwissen. Insgesamt ist die Verfügbarkeit von Fachkräften eine der zentralen Voraussetzungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Berlins.
Das deutsche Forschungssystem besteht aus mehreren Säulen, den öffentlichen Universitäten und Hochschulen, bundeseigenen Forschungsgesellschaften wie die Max-Planck-Institute, die Grundlagenforschung betreiben, und die Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen der Industrie, deren Schwerpunkt die Anwendungsforschung ist. Dieses Drei-Säulen-Modell hat sich aus Sicht der SPD seit Jahrzehnten bewährt. Deshalb wollen wir die Kooperation von Universitäten mit der Wirtschaft fördern. Die vollständige Unterordnung einzelner Universitäten oder Institute unter private Firmen wollen wir nicht. Deshalb darf Drittmittelfinanzierung nicht an Stelle der öffentlichen Finanzierung der Hochschulen treten.
An immer mehr öffentlichen Universitäten und Hochschulen wird Rüstungs- oder anderweitig militärisch relevante Forschung betrieben. Gegen diese Entwicklung regt sich vielerorts Widerstand und es wird die Einrichtung von "Zivilklauseln", die die Verpflichtung, ausschließlich Forschung für "zivile Zwecke" zu betreiben, beinhalten. Wie stehen Sie dazü
Rüstungsforschung ist kein Schwerpunkt der Forschung Berliner Universitäten und soll es aus Sicht der Berliner SPD auch nicht sein. Im Einzelnen ist militärisch relevante und zivile Forschung aber nicht immer genau abzugrenzen. Über die Frage, ob rüstungsrelevante Forschung erlaubt sein soll oder nicht, kann aus unserer Sicht nur für die Bundesrepublik insgesamt entschieden werden. Solange Deutschland mit der Bundeswehr bewaffnete Streitkräfte hat, macht es keinen Sinn, Rüstungsforschung absolut zu verbieten. Unsere Soldatinnen und Soldaten sollen, wenn sie im Einsatz sind, die Ausrüstung haben, die für sie den bestmöglichen Schutz gewährleistet. Eine Rüstungsindustrie als normalen exportorientierten Wirtschaftszweig wollen wir aber nicht. Rüstungsforschung grundsätzlich in einzelnen Bundesländern oder an einzelnen Hochschulen durch "Zivilklauseln" zu unterbinden, damit sie dann an anderen Standorten stattfindet, halten wir nicht für einen geeigneten Weg der Rüstungsbegrenzung.
Wie bewerten Sie die derzeit bestehenden demokratischen Strukturen innerhalb der Hochschulen? Sehen Sie Entwicklungsbedarf und wenn ja, welchen? Wie stehen Sie zu der Forderung eine Viertelparität zwischen Studierenden, Mittelbau, Technischem Personal und Professoren in allen Gremien festzuschreiben?
Die Berliner SPD bekennt sich zum Prinzip der Gruppenuniversität. HochschullehrerInnen, wissenschaftlicher Mittelbau, Studierende und nichtwissenschaftliche Beschäftigte in der Verwaltung und den technischen Bereichen, gehören zusammen. Deshalb sollen sie auch weiterhin in den Selbstverwaltungsgremien der Hochschulen gleichberechtigt Sitz und Stimme haben. Nach dem Berliner Hochschulgesetz müssen in allen Entscheidungsgremien hinsichtlich der Forschung, der Lehre und der Berufung von HochschullehrerInnen die HochschullehrerInnen die Mehrheit haben. Dies beruht auf Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in den 70er Jahren bereits gemacht hat, und können wir deshalb nicht ändern. Allerdings sieht das Berliner Hochschulgesetz vor, dass in Fragen der Forschung, Lehre und bei Berufungsentscheidungen gegen sämtliche Gremienmitglieder einer Mitgliedsgruppe getroffene Entscheidungen erneut beraten werden müssen.
Hochschulfinanzierung
Der Anteil der staatlichen Grundmittel für die Finanzierung der Hochschulen ist von 1980 bis 2007 von 72,3 auf 50,1 Prozent gesunken, während im gleichen Zeitraum die Finanzierung über Drittmittel- und Verwaltungseinnahmen deutlich zugenommen haben.
Wie stehen Sie dazu, dass die öffentliche Finanzierung der Hochschulen in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zurückgefahren wurde und wie gedenken Sie die Haushaltspolitik im Bereich der Hochschulen zu gestalten?
Wir wollen eine solide Finanzierung der Berliner Hochschulen aus dem Landeshaushalt sicherstellen. Dafür geben wir mit den Hochschulverträgen den Universitäten längerfristige finanzielle Planungssicherheit. Trotz der nach wie vor angespannten Haushaltslage in Berlin haben wir in der der Regierungszeit der SPD in Berlin hier einen klaren Schwerpunkt gesetzt. Den Weg der stabilen Finanzen werden wir auch in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen. Für uns ist klar: Bei Bildung und Wissenschaft soll auch künftig nicht gespart werden.
Deshalb haben wir seit 2006 in Berlin 7.000 neue Studienplätze geschaffen und die Stadt zum attraktivsten Hochschulstandort in Deutschland ausgebaut. Diese Politik wollen wir fortsetzen und die Zahl der Studienplätze weiter erhöhen.
Der fehlende Ausbau der Ressourcen für den Bildungsbereich wird politisch in der Regel mit fehlenden Ressourcen begründet. Sehen Sie Alternativen zu der aktuellen Spar- und Kürzungs-Haushaltspolitik (Austeritätspolitik), die in Form der "Schuldenbremse" mittlerweile ins Grundgesetz aufgenommen wurde und wenn ja, welche?
Die SPD setzt sich dafür ein, dass die Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte wieder gestärkt wird. Deshalb wenden wir uns dagegen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung, kaum dass die wirtschaftlichen Daten erfreulicherweise wieder höhere Steuereinnahmen erwarten lassen, sofort neue Steuersenkungen verspricht. Wer öffentliche Leistungen will, der muss auch für ausreichende Einnahmen des Staates sorgen. Gleichwohl ist unabhängig von der "Schuldengrenze" des Grundgesetzes eine ausufernde Verschuldungspolitik nicht möglich. Die Krisen in Griechenland und anderen Ländern in Europa zeigen, dass eine solche Politik über kurz oder lang bestraft wird und durch die höheren Zinsen, die der Staat bezahlen muss, dann zu massiveren Sparmaßnahmen zwingt, als wenn man auf einen soliden öffentlichen Haushalt achtet. Berlin hat vor der Finanzkrise 2008/09 gezeigt, dass man auf diesem Weg der Haushaltskonsolidierung erfolgreich sein und gleichzeitig Schwerpunkte in Bildung und Wissenschaft setzen kann.
Studienorganisation
Der Bachelor-Abschluss wird aktuell für viele Studierende zur Sackgasse, da es vielfach nicht genügend Master-Studienplätze gibt, um die Nachfrage zu decken. Wie stehen Sie zu der Forderung, den Anspruch auf einen Master-Studienplatz im eigenen oder einem verwandten Fach gesetzlich zu verankern?
Berlin gehört zu den Bundesländern mit den geringsten Hürden beim Übergang zum Master. Die Hochschulen haben vor dem Verfassungsgericht dagegen geklagt, da sie höhere Zugangshürden wollten. Der SPD-geführte Senat hat das abgelehnt und vor dem Verfassungsgericht gewonnen. Wichtiges Ziel ist es, in den nächsten Jahren ausreichend Masterplätze anzubieten. Wir wollen verhindern, dass am Übergang zwischen Bachelor- und Masterstudium eine neue Bildungshürde entsteht. Studierende sollen mit einem Bachelorabschluss echte Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhalten – aber auch das Studium in der Masterphase fortsetzen können. Für Berufe, die einen Masterabschluss zwingend voraussetzen, wollen wir eine Garantie auf einen Masterstudienplatz geben.
Die Reformierung der Studienstruktur im Zuge des Bologna-Prozesses ist weiterhin umstritten. So wird u.a. von Seiten der TU 9 (Zusammenschluss der neun größten Technischen Universitäten Deutschlands) eine Rückkehr zum Diplom gefordert und Studiengänge wie Medizin oder Jura immer noch mit den alten Abschlüssen angeboten.
Sollte es den Hochschulen ermöglicht werden, souverän über die Struktur und die Abschlüsse ihrer Studiengänge zu entscheiden?
Der Bologna-Prozess dient dazu, europaweit vergleichbare Abschlüsse zu gewährleisten und so einen gemeinsamen europäischen Hochschulrahmen zu schaffen. Diesen Prozess wollen wir fortsetzen, indem die bisherigen Ergebnisse der Umstellung evaluiert und bestehende Defizite abgebaut und korrigiert werden. Wir wollen ihn aber nicht abbrechen und keine Strukturen schaffen, die schon innerhalb Deutschlands ein Nebeneinander miteinander nicht kompatibler Strukturen in der Hochschulbildung zur Folge hätte. Die Nichtanerkennung von Studienleistungen unter den Hochschulen in Deutschland wäre die Folge. Das kann keiner wollen.
Wie wollen Sie die Hochschulen für Menschen ohne Abitur öffnen?
Nach der gesetzlichen Öffnung der Hochschullandschaft für beruflich Qualifizierte ohne Abitur ist es unsere Aufgabe, diesen Menschen die Aufnahme eines Studiums auch in der Praxis zu erleichtern. Dazu benötigen wir Beratungs- und Unterstützungsangebote an den Hochschulen und eine bessere Anerkennung von Leistungen der beruflichen Bildungsgänge. Hierzu müssen sich auch die Hochschulen verändern und sich stärker der Lebenswelt von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern öffnen.