Neuer Schub für Internet-Forschung in DeutschlandInstitutsgründung in Berlin als Imagemaßnahme für Google?
Von Ralf Hutter
Kaum ist die Deutsche Bank weg, kommt Google – so könnten zur Zeit HU-Angehörige stöhnen. Erst kürzlich war, kurz vor Ende seiner Laufzeit, ein Sponsorenvertrag aufgeflogen, der der Bank zumindest theoretisch beträchtliche Gegenleistungen der Unis sicherte.
Nun wurde am 11. Juli endgültig bekannt gegeben (eine erste Ankündigung hatte es schon ein knappes halbes Jahr vorher gegeben), dass auf Initiative von Google hin ein An-Institut für transdisziplinäre Internet-Forschung geschaffen wird, das an der juristischen Fakultät der HU angesiedelt wird.
Datenkrake Google bietet zahlreichen Anlass für Kritik
Ein Institut von Google als "offene, unabhängige Plattform" zur Erforschung der vernetzten Welt?
Google und ein deutsches Jura-Institut – selten hat der Begriff "wie die Faust auf's Auge" so gut gepasst, wie bei diesem Paar. Denn Google hätte es selbst aus juristischer Sicht durchaus verdient, mal eine Faust zu spüren, konnte sich aber der Kraft des hiesigen Gesetzes stets entziehen, unter anderem dadurch, dass die Firmenzentrale in den USA liegt.
Während die Tatsache, dass Google seine weltweit gesammelten personenbezogenen Daten auf Grund des laxen US-Datenschutzes beliebig speichern und verwenden kann, und etwa der Google-Kartendienst Street View nur politisch bedenklich sind, gab es schon mehrmals auch juristische Gründe, das Treiben des stets so alltags-erleichternd daherkommenden Konzerns kritisch zu sehen.
So wurde bei der Inverkehrbringung des sehr erfolgreichen Google-Produkts Analytics nicht auf seine Kompatibilität mit dem deutschen Internet-Recht geachtet, das etwa IP-Adressen als zu schützende persönliche Daten ansieht. Für den Dienst Google Books wurden munter Bücher kopiert, ohne sich um das Urheberrecht zu kümmern. Und bei den Bildaufzeichnungen der Street-View-Kamerawägen schnitt Google "versehentlich" Daten aus ungesicherten Internet-Funknetzwerken mit, wofür in Frankreich eine Rekord-Strafzahlung fällig wurde.
Das Neueste: "Google plant die Super-Datenbank" (die Frage der Kompatibilität mit deutschem Recht behandelt die Wochenzeitung Zeit). Die massenhaft personenbezogene Daten generierende Produktvielfalt von Google ist ohnehin schon, wie auch die Visionen eines der führenden Google-Manager, schlicht beängstigend.
Internet-Forschung zum Nutzen der Gesellschaft
Nun startete Google also die Initiative für ein Institut an der HU. Analogien zu dem Fall mit der Deutschen Bank sind aber fehl am Platz, denn Google will angeblich nicht in die Forschungsarbeit reinreden und hat auch sonst keine Privilegien – außer, dass im Kuratorium des Instituts ein hochrangiger Google-Vertreter sitzt, der bei der Besetzung des Kuratoriums ein Veto-Recht hat, wie die Zeit an anderer Stelle betont.
In der wissenschaftlichen Leitung und im wissenschaftlichen Beirat des Instituts, das Ende Oktober mit einer wissenschaftlichen Konferenz eingeweiht werden soll, hat der Internet-Konzern aber nichts mitzureden. Getragen wird die Forschungseinrichtung von HU, Universität der Künste Berlin (UdK), Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem an der Uni Hamburg angesiedelten und als gemeinnützige Stiftung firmierenden Hans-Bredow-Institut. Diese vier Einrichtungen stellen auch gemeinsam die vierköpfige wissenschaftliche Leitung. Aus deren fachlicher Zusammensetzung wird die grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung des Projektes klar.
Das Institut, dessen jetziger Name nur ein Arbeitstitel ist, soll die Bereiche Internet-basierte Innovation, Internet-Politiken ("Internet Policy") sowie juristische Fragen bearbeiten. Ein Beispiel: "Konkret schwebt den Forschern vor, die Plattform "Regulation-Watch" zu starten, um die politischen Spielregeln für das Internet einem internationalen Vergleich zu unterziehen", schreiben mehrere Zeitungen. Auch die vom Internet geschaffenen Möglichkeiten globaler politischer Mitbestimmung sowie kollektiver kreativer Arbeit sollen erforscht werden.
"Ziel des Instituts ist es, die vom Internet ausgehenden Veränderungen der Gesellschaft besser zu verstehen und allen Gruppen die Mitgestaltung der digitalen, vernetzten Zukunft zu ermöglichen", besagt das "Mission Statement".
Dabei soll es zu einer "Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft" kommen.
Die Herangehensweise scheint sehr ehrenwert zu sein: Dass das Internet "offen" sein soll, wird begründet aus der Perspektive einer "Philosophie der Offenheit, die die Unterstützung von offenen Standards, Interoperabilität und Open Innovation gewährleistet". Die Institutsarbeit basiert demnach auf einer "humanistischen Konzeption des Internets, bei der Technik nicht als Selbstzweck verstanden wird, sondern als Mittel für Ziele, die von Menschen bestimmt werden". Gefördert werden soll so letztendlich nicht nur die gesetzlich garantierte Freiheit von Internet-Zugang und -Inhalten, sondern mittelbar auch "Wissenschaft und Kultur".
Zu Institutsaufbau und Arbeitsweise wird angegeben:
"Die Kernmannschaft wird aus zehn Personen bestehen: vier Direktoren, vier Mitarbeitern sowie einer zweiköpfigen Geschäftsführung. Mittels "Calls for Proposal" wird die Forschung organisiert, die auch durch Doktoranden, Post-Doktoranden und "Fellows" durchgeführt wird. Wir werden uns daher nach dem Start nach Partnern aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und dem privaten Sektor umsehen."
Partner werden nicht nur für die wissenschaftliche Arbeit (hier soll es bereits 40 Anfragen geben) gesucht. Google stellt mit 4,5 Millionen Euro für drei Jahre nämlich nur eine Anschubfinanzierung bereit. Die Einwerbung weiterer Gelder wird wohl bei den üblichen Quellen stattfinden, also etwa bei Stiftungen, Unternehmen, Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) und Bundeswissenschaftssministerium (BMBF). Zur Finanzierung ist noch zu sagen, dass sie von der inhaltlichen Leitung getrennt organisiert ist, in einer eigenen GmbH.
"Das Institut wird eine offene, unabhängige Plattform sein", ist auf der Homepage zu lesen. Noch vor der formalen Institutseröffnung wird das bereits im Ansatz umgesetzt, und zwar durch die Schaffung der Möglichkeit, online Fragen und Vorschläge zur Institutsarbeit vorzutragen. Die dortigen Einträge – bislang sind es 15 Diskussionsthemen – sollen auch bewertet und kommentiert werden können. Dummerweise ist für die Nutzung der (übrigens etwas unübersichtlichen) Applikation ein Google-Konto notwendig.
Internetforschung in Deutschland unzureichend – die Institutsausrichtung auch?
"Es gibt auch keine Informationen dazu, wie über die auf der Homepage eingereichten Vorschläge entschieden wird", kritisiert der Technikphilosoph Karsten Weber gegenüber Studis Online. Weber ist derzeit Vertretungsprofessor für Allgemeine Technikwissenschaften an der TU Cottbus. Vorher vertrat er bereits die nun in Auflösung befindliche Professur für Informatik und Gesellschaft an der TU Berlin. Auch Googles Auswahlprozess bei der Besetzung der vierköpfigen wissenschaftlichen Leitung hält Weber für "bedenklich", da intransparent: "Wenn es um Wissenschaft geht, ist mehr Transparenz nötig." Er will in Fachkreisen erfahren haben, dass persönliche Beziehungen durchaus auch eine Rolle spielten bei der Besetzung der Leitungsposten.
Auf die Frage, wie es um die Internet-Forschung in Deutschland bestellt ist, antwortet Weber mit einem Bericht von der zweitägigen Konferenz "Zukünftiges Internet", die das BMBF in der ersten Juli-Woche durchgeführt hat. Die Konferenz sei "relativ hoch gehängt" gewesen, eigentlich habe sogar Ministerin Schavan ihr Kommen angekündigt gehabt.
Zu den Inhalten berichtet Weber: "Die Transdisziplinarität war zwar im Programm vorgesehen. Aber die Vorträge waren dann doch eher Monologe im jeweiligen Themenbereich." Das sieht er als stellvertretend für die deutsche Forschung zum Internet an.
Auch die Finanzierung sei fragmentiert: Von Ministerien werde recht viel Geld für Projekte in diesem Bereich ausgegeben, allerdings laufe das nicht explizit unter Förderung von Internet-Forschung, sei also Stückwerk, weswegen Weber "Defizite in der politischen Landschaft, und auch in der Forschungslandschaft" sieht.
"Das Google-Institut könnte also in eine Lücke stoßen", so der Philosoph, der sich darüber wundert, dass so viele Juristen zur Konferenz eingeladen worden waren. "Ich habe die Hoffnung, dass Google das besser macht", fügt Weber hinzu und weist darauf hin, dass mit Jeanette Hofmann, der WZB-Vertreterin in der Institutsleitung, sozialwissenschaftliche Kompetenz zu diesem Forschungsfeld garantiert sei. Dennoch "verblüfft ein bisschen der stark juristische Zugang", der sich aus den vorab bekannt gegebenen thematischen Schwerpunkten der Institutsarbeit herauslesen lasse (Hofmann selbst befasst sich auch mit juristischen Fragen, zwei weitere Direktoren sind sogar Juristen), und der darin begründet sein könnte, dass Google sich sehr für Regulierungsfragen interessiere.
Diesem Eindruck widerspricht Hofmann allerdings gegenüber Studis Online. Sie warnt vor vorschnellen Schlüssen bezüglich der Motivation des Konzerns: "Google will Forschungskompetenz schaffen." Und Profilbildung sei zwar wichtig, doch gebe es keine Konzentration auf rechtliche Fragen. Hofmann selbst habe eine techniksoziologische Ausrichtung und sehe genug Anknüpfungspunkte für Kooperationsanfragen aus der Soziologie. Sie hofft vermutlich sogar darauf – denn während zu juristischen Fragen bezüglich des Internets hierzulande sehr wohl Forschung stattfinde, sei es in ihrem, dem sozialwissenschaftlichen Bereich, "fast gar nichts".
Zur Internet-Forschung in Deutschland generell sagt Hofmann: "Die Szene der Forschung ist fragmentiert." Es gebe viel Projektförderung, aber bei öffentlich-rechtlichen Institutionen zu wenig Geld für die Förderung eines ganzen Instituts.
Das mutet seltsam an, denn die 1,5 Millionen Euro pro Jahr, die Google nun aufbringt, sind keine hohe Summe. "Die Politik hat Investitionen in diesen Forschungsbereich verschlafen." Das sagt nicht nur Karsten Weber, das ist auch in der journalistischen Berichterstattung zur Institutsgründung mehrfach zu lesen (Das BMBF konnte Studis Online zu diesem Thema innerhalb von zwei Tagen nicht antworten). Aus dem wissenschaftlichen Bereich selbst heraus sind solche Investitionen wohl gar nicht mehr zu erwarten. "Die Universitäten haben schlicht und ergreifend kein Geld", beklagt Weber. Dabei sei Kompetenz in diesem Themenbereich sehr nötig, angesichts der "peinlichen Debatten in Deutschland über Facebook und Co.".
Der Technikphilosoph gibt sich nun skeptisch bezüglich weiterer, nicht-kommerzieller Geldquellen für das Institut. Für Stiftungsgelder sei Grundlagenforschung nötig – "aber da fehlt diesem Institut das Alleinstellungsmerkmal", meint Weber, der dort übrigens selbst bereits ein wissenschaftliches Projekt vorgeschlagen hat.
Hofmann erklärt, Grundlagenforschung etwa zu Datenschutz im Hinblick auf Cloud Computing und das "Internet der Dinge" zu beabsichtigen. Zu Webers Kritik bezüglich der Transparenz des Institutsvorgehens gibt sie an: Über den Umgang mit den online erbetenen Anregungen und Fragen gebe es intern noch keine Übereinkunft, übrigens auch nicht bezüglich der bereits eingegangenen Bewerbungen um Arbeitsplätze. Und warum sie an dieses Institut berufen worden sei, sei ihr klar – sie forsche bereits seit 15 Jahren zum Internet.
Hofmann berichtet des weiteren, es würden bereits bezahlte Vorstudien für das Institut erstellt, obwohl das Forschungsprogramm noch nicht fest stehe.
Braucht Google dieses Institut nur für's Image?
Es sieht also nach einer glücklichen Wendung aus: Ein (wahnsinnig reicher) Konzern nimmt sich zur Schaffung von Kompetenz der Wissenschaftsförderung an, weil Politik und Hochschulen das nicht selbst hinkriegen. Und einen direkten Profitwunsch braucht Google nicht mit dem Sponsoring zu verbinden, denn neue Erkenntnisse zum Internet helfen wahrscheinlich sowieso im Endeffekt auch dem Internet-Konzern. Steckt also wirklich nicht mehr dahinter, wenn Google nach "vielen akademischen Partnerschaften zu Fragen der Informationstechnik" nun erstmals "die Förderung eines sozialwissenschaftlichen Instituts" übernimmt, wie ein Google-Sprecher sagte?
Klar dürfte sein, dass Google nach vielen Image-Schäden nun gerade in Deutschland, wo der Datenschutz vergleichsweise wichtig genommen wird, wieder mit positiven Nachrichten Schlagzeilen machen will – auch hier ist sich Karsten Weber mit der Presse einig.
Linus Neumann, Aktivist des soeben auch formal gegründeten Vereins Digitale Gesellschaft und Autor von netzpolitik.org, drückt es gegenüber Studis Online weitaus drastischer aus: "Google braucht dieses Institut sicherlich nicht. Dieses Institut wird nichts erforschen, was Google nicht schon weiß." Den Einwand, dass nun Profs aus verschiedenen Disziplinen zusammen kommen, das Institut also geballte Kompetenz verspricht, lässt Neumann nicht gelten. Alle kompetenten Leute seien schon bei Google – und sie seien auch kompetenter als Uni-Profs. Neumann weist beispielsweise darauf hin, dass Google seinen Angestellten für die Produktentwicklung Freiheiten (und Freizeit) lasse, wie sie auch Unis nicht gewähren könnten. Diese Freiräume im Arbeitsprozess brächten nicht zufällig immer wieder erfolgreiche Innovationen hervor.
Der Internet-Aktivist entwirft ein geradezu bedrückendes Bild der letzten zehn Jahre, in denen Google einen riesigen Einfluss erlangt habe und nun gewissermaßen Herr der Lage sei – und dabei auch nicht wirklich auf Technikfolgen-Forschung angewiesen sei: "Theorien kommen immer hinterher – Google dagegen verändert einfach die Welt. Google braucht sich nicht über die Folgen seines Handelns Gedanken zu machen. Die wissen, was sie tun."
Auch wenn Neumann es "bedauerlich" findet, dass die deutsche Wissenschaftslandschaft diesen Schritt eines Konzerns nötig mache, dankt er Google die Initiative und das dadurch entstandene Institut. Der studierte Psychologe weiß aus eigener Erfahrung, wie viel weiter die Internet-Forschung in den USA in diesem Bereich schon ist.
Auch sein Kollege Markus Beckedahl, Gründer von netzpolitik.org und Gründungsvorstand des Lobby-Vereins Digitale Gesellschaft, freut sich: "Wir haben in den letzten Jahren neidisch nach Oxford und Harvard geguckt, wo immer die besten Leute hingehen." In Deutschland hingegen würden die durchaus vorhandenen Professuren zum Thema Informatik und Gesellschaft "stiefmütterlich behandelt", ja kämpften gar gegen ihre Abschaffung. In der letzten Zeit sei im Fach Informatik der Trend in Richtung "Public-Private-Partnerships" gegangen, an den Unis sei also eher durch anwendungsbezogene Arbeit an kommerziellen Softwares der Nachwuchs für die Industrie ausgebildet worden. "Das ist aber gesellschaftlich nicht so wichtig", hält Beckedahl fest.
Bleibt also zu hoffen, dass Googles Initiative da ein Gegengewicht schafft – und dass am Ende auch die Google-Kritik angemessenen Ausdruck in der Arbeit des von Google angeschobenen Instituts findet.