Militarisierung von Studium, Forschung und LehreZivilklausel oder Militärforschung
Von Jens Wernicke
Die Bundeswehr ist seit geraumer Zeit wieder im Auslandseinsatz. Manch einer nennt das, was sie dort praktiziert, Krieg, manch anderer nicht. Minister zu Guttenberg räumt inzwischen unumwunden ein, dass es bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr selbstredend auch um wirtschaftliche Interessen gehe1, eine Aussage, für die Bundespräsident Horst Köhler kurz zuvor noch hatte zurücktreten müssen.
Militarisierung der Außenpolitik zieht Militarisierung im Innern nach sich
Gut und richtig ist, was Arbeit schafft?!
"Der Frieden gefährdet Arbeitsplätze" - Plakat von Klaus Staeck, 1978.
Quelle: www.klaus-staeck.de
Als Kehrseite dieser Entwicklung konstatieren Kriegsgegner und Pazifisten seit langem eine, wie sie es nennen, "Militarisierung der Gesellschaft"2, das Eindringen militärischen Denkens und Agierens in den öffentlichen Bereich, ins öffentliche Denken und in der Mitte der Gesellschaft3 also. Da üben Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen schon einmal Schießen4 oder schließen immer mehr Bundesländer Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr, die dieser exklusiven Zugang zum Unterricht und der Ausbildung von LehrerInnen gewährt, um bei Kindern und Jugendlichen ein gutes Bild der Auslandseinsätze zu erzeugen5, ja, im Idealfalle sogar Zustimmung zu Kriegseinsätzen zu erlangen.6
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. konstatiert diesbezüglich:
"Die Bundesregierung und die Bundeswehr setzen vor allem bei jungen Menschen an. Sie sollen davon überzeugt werden, dass Soldaten in den Krieg geschickt werden müssen und dazu bewogen werden, sich als Soldat zu verpflichten und in den Krieg zu ziehen. Daher kommen Jugendoffiziere und Wehrdienstberater in Schulen und Universitäten, veranstaltet die Bundeswehr Events für Jugendliche, wirbt im Internet, in Zeitungen, im Kino und im Fernsehen für den Soldatenberuf, Wehrdienstberater versuchen in Arbeitsagenturen arbeitslose Jugendliche zu rekrutieren und vieles mehr."7
Hochschulen forschen für den Krieg
Wie auch immer man dabei die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen bewerten will, fest steht: Gerade an Schulen, aber auch an Hochschulen8 gehen sie nicht spurlos vorbei. In Bezug auf Hochschulen bedeutet das unter anderem, dass dort immer mehr militärisch relevante Forschung stattfindet:
"Im Jahr 2008 hat die Bundesregierung 1,1 Milliarden Euro dafür gezahlt, dass an Hochschulen und in so genannten An-Instituten Rüstungsforschung betrieben wird. Das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) vergab Aufträge für bundeswehrrelevante und wehrtechnische Forschung an Hochschulen in zehn Bundesländern. Insgesamt führen 27 Hochschulen derartige Projekte durch. Daneben erhielten auch einschlägige Forschungseinrichtungen wie die Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften (FGAN), das Deutsche Zentrum für Luft – und Raumfahrt (DLR) oder die Fraunhofer Gesellschaft Aufträge. Im Rahmen des 7. Forschungsprogramms der EU wird an Hochschulen auch im "Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit" gearbeitet, dessen Ergebnisse teils ebenfalls "sicherheitsrelevant" sind.
Gleichzeitig ist 2007 das deutsche Forschungsprogramm zur "zivilen Sicherheit" gestartet. Die Forschungsprojekte reichen insgesamt von der Entwicklung besserer Panzerungen über wehrpsychologische Projekte bis hin zu sozialwissenschaftlicher Forschung. Auch in der Lehre gibt es Verbindungen zwischen Hochschulen und der Bundeswehr. Von einzelnen Vorträgen mit Jugendoffizieren über Personalüberschneidungen bis hin zum Studiengang "Military Studies" bestehen teils "erfreulich intensive" Kooperationen, wie es im Jahresbericht der Jugendoffiziere 2007 heißt."9
Der Frankfurter Politologe Peer Heinelt, einer der Wortführer der neuen Bewegung gegen den wachsenden Einfluss des Militärischen an Hochschulen, konstatiert:
"Kriegsforschung ist mittlerweile ein flächendeckendes Phänomen; betroffen sind mitnichten nur natur- und ingenieurwissenschaftliche Fachbereiche, sondern ebenso die Sozialwissenschaften."
TABELLE: Hochschulen, die seit 2000 wehrtechnische und bundeswehrrelevante Forschung betreiben oder die Projekte im Rahmen des Programms "Forschung für Zivile Sicherheit" durchführen (exklusive EU- und industrielle Drittmittelprojekte): Quelle: IMI-Studie Nr. 07/2009, http://www.imi-online.de/download/SN-Studie07-2009-Forschung.pdf, S.4.
"Stoppt Kriegsforschung an Hochschulen – Bundeswehr raus aus den Schulen!"
Doch diese Entwicklungen nehmen Lehrende, Studierende, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen zunehmend nicht mehr hin. Prominentestes Beispiel für die sich zuspitzenden (politischen) Auseinandersetzungen ist bisher wohl das so genannte Karlsruher Institut für Technologie, kurz: KIT:
"Am 8. Juli 2009 verabschiedete der baden-württembergische Landtag das Gesetz zur Zusammenführung der Universität Karlsruhe und der Forschungszentrum Karlsruhe GmbH im Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Zur Debatte stand dabei, ob die neu geschaffene Institution eine sogenannte Zivilklausel erhalten soll, in der der Verzicht auf jede Form militärisch relevanter Forschung festgeschrieben ist. Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) äußerte sich hierzu wie folgt – und zeigte en passant, daß an ihm ein veritabler Komiker verlorengegangen ist: 'Ich persönlich – das betone ich auch hier noch einmal – bin der festen Überzeugung, daß unsere Hochschulen eigentlich für die Armee eines demokratischen Staates und die beste Ausrüstung ihrer Soldaten auch forschen dürfen. Ich halte dies übrigens auch für eine Zivilklausel. Denn wir haben eine zivile Armee, für die man forschen können soll.'"10
Dass der Minister sich gezwungen sah, öffentlich derlei von sich zu geben, war dabei nicht zuletzt dem Engagement Karlsruher Studierender geschuldet. Sie hatten sich im Januar 2009 per Urabstimmung und mit Zweidrittelmehrheit dafür ausgesprochen, die seit 1956 für das Kernforschungszentrum Karlsruhe geltende Bestimmung, ausschließlich "friedliche Zwecke" zu verfolgen, auf das neu geschaffene KIT zu übertragen.
Seit Mai 2009 hatten zudem hunderte von Wissenschaftlern und Politikern einen internationalen Appell für eine einheitliche Zivilklausel am KIT11 unterzeichnet. Sie alle wollten verhindern, dass am projektierten KIT fürderhin Nuklear- und Waffenforschung unter einem Dach betrieben werden können. Durchsetzen konnten sie sich mit ihrem Anliegen bisher aber nicht.
Vielerorts Proteste - Zivilklausel Mittel der Wahl
Mehr oder minder "große" Erfolge, zumindest was die Problematisierung der Entwicklung und/oder die Verpflichtung auf eine so genannte "Zivilklausel"12 angeht, gibt es dennoch bereits - an anderen Hochschulen, wie unter anderem die FAZ vom 12. Januar 2011 zu berichten weiß:
"Zivilklauseln existieren [bereits] an den Universitäten Dortmund, Bremen, Oldenburg sowie an der TU Berlin. Im Jahre 1991 kam auch an der Universität Konstanz ein Senatsbeschluss zustande, der besagte, "dass Forschung für Rüstungszwecke, insbesondere zur Erzeugung von Massenvernichtungswaffen, an der Universität Konstanz keinen Platz hat und auch in Zukunft keinen Platz haben wird". Vor einem Jahr hat der Senat der Universität Tübingen auf studentischen Druck die Friedlichkeits-Prämisse von Lehre, Forschung und Studium als Präambel in die Grundordnung aufgenommen. Vier Monate später folgten scharfe Auseinandersetzungen um das Seminar "Angewandte Ethnologie und Militär" der Ethnologin Monika Lanik, die als Oberregierungsrätin beim Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr beschäftigt ist. Es wurde als "Rekrutierungsveranstaltung" diskreditiert."13
In mehreren Unis, darunter Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart, München, Bremen, Braunschweig, Kassel, Gießen gibt es zudem inzwischen Arbeitskreise gegen Rüstungsforschung, die Aktionen planen und versuchen, die genannte Problematik in die Öffentlichkeit zu tragen.
Richtig ist, was Arbeit schafft?
Besondere Brisanz scheint dabei aktuell die Entwicklung an der Universität Köln zu haben. Fast zwei Drittel der Studierenden hatten sich hier in einer Abstimmung für eine Zivilklausel ausgesprochen.14 Nahezu alle Hochschulgruppen unterstützen das Anliegen: Von linken Splittergruppen bis hin zur FDP-nahen Liberalen Hochschulgruppe. Einzig der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) sprach sich gegen die Klausel aus - und die sich unpolitischen gebenden "Unabhängigen" enthielten sich.
Die Leitung der Kölner Uni hat jedoch wenig Verständnis für das Anliegen der Studierenden:
"Sie will laut Pressesprecher Patrick Honecker zunächst prüfen, inwieweit die Klausel mit dem Grundgesetz vereinbar sei. 'Wir sind der Meinung, dass hier die Wissenschaftsfreiheit betroffen ist. Wissenschaft muss frei darüber entscheiden, was sie in welcher Art und Weise transparent macht.' Ein Verständnis des Grundgesetzes, das [ein Vertreter der Studierenden] für absurd hält: 'Die Wissenschaftsfreiheit ist ja gerade aus der Erfahrung heraus, dass sie für Kriegs- und Vernichtungsforschung in den Dienst genommen wurde, im Grundgesetz verankert worden.'
Doch selbst wenn sich die Zivilklausel als verfassungsmäßig erweisen sollte, sieht man im Rektorat keinen Handlungsbedarf, da sich nur ein Teil der Hochschulangehörigen für die Selbstverpflichtung ausgesprochen habe. Mitarbeiter seien gar nicht berücksichtigt worden, sagt Honecker. 'Wenn wir Minderheitenmeinungen zur Grundlage unserer Entscheidungen machten, dann müsste man grundsätzlich fragen, ob das Demokratie ist.' Zum Vergleich: Fast 5000 Studierende haben sich für die Zivilklausel ausgesprochen, insgesamt beschäftigt die Uni knapp 4500 Mitarbeiter.
Natürlich sei auch der Hochschulleitung klar, dass in der Bevölkerung ein breiter Konsens darüber herrsche, dass keine Forschung betrieben werden solle, die kriegerische Handlungen begünstigt. Allerdings müsse auch berücksichtigt werden, meint Honecker, dass über diese Forschung Arbeitsplätze und Wohlstand generiert würden. 'Als Rüstungsproduzent sind wir auch einer der Exportweltmeister. Letztendlich muss jede Institution für sich entscheiden, wie sie damit umgeht.'"15
Ist Kritik an der Militarisierung der Hochschulen also nicht opportun, weil diese Arbeitsplätze und Wohlstand im Land sichern hilft? Das bedeutete für die Hochschulen ja letztlich dasselbe, was Ex-Präsident Köhler und mehr oder minder auch Minister zu Guttenberg zum Thema Krieg von sich gegeben haben: Gut und richtig ist alles, was (vermeintlich) Wohlstand schafft.
Die Frage lautet nun: Wollen wir es hierauf einfach beruhen lassen – oder nicht?
Aktiv werden gegen Militärforschung
Wer sich einmischen und engagieren will, wird in diesen Hochschulen bereits AnsprechpartnerInnen finden. Eine stets aktuelle Übersicht über die Entwicklung zum Thema stellt zudem die "Initiative gegen Militärforschung an Universitäten" hier zum Download bereit.
Einen aktuellen, internationalen Appell vom 26. Januar 2011, der ein Verbot von Kriegsforschung nicht nur fürs KIT, sondern für alle Hochschulen fordern, gilt es zudem zu unterschreiben, zu verbreiten und bekannt zu machen.
Zu den 53 Erstunterzeichnern gehören u.a. vier Nobelpreisträger (Paul Crutzen, Harry Kroto, Mairead Corrigan Maguire, Jack Steinberger), der Bürgermeister von Hiroshima Tadatoshi Akiba ("mayors for peace"), der frühere Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie Hartmut Grassl und Daniel Ellsberg, U.S.A. (Pentagon-Papers).
Zum Weiterlesen:
- taz.de - "Streit um Frieden" in Bremen (08.02.2011)
- Neue Rheinische Zeitung - "Uni-ProfessorInnen und Zivilklausel" (14.02.2011)
- Dokumentation zur Auseinandersetzung "Zivilklausel oder Militärforschung"
- Broschüre "Stoppt Kriegsforschung an Hochschulen - Bundeswehr raus aus den Schulen!" des Landesausschusses der Studentinnen und Studenten (LASS) in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen
- IMI-Studie 07/2009: Hochschulen forschen für den Krieg
- International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES): Campaign: Commit Universities to Peace
- Peer Heinelt: Das Kreuz mit der Klausel
- Wolfgang Borchert: Antikriegsmanifest
Fußnoten:
1 www.heute.de/ZDFheute/inhalt/23/0,3672,8127959,00.html
2 www.graswurzel.net/240/militarisierung.shtml
3 www.ag-friedensforschung.de/themen/Schule/bethge.html
4 www.focus.de/schule/schule/unterricht/tid-17876/bundeswehr-an-schulen-unterricht-vom-jugendoffizier_aid_497918.html
5 www.ag-friedensforschung.de/themen/Schule/tdh2.html
6 www.ag-friedensforschung.de/themen/Schule/handbuch.html
7 http://imi-online.de/download/factsheet_BW_Schule2010.pdf
8 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/033/1703337.pdf
9 http://imi-online.de/download/SN-Studie07-2009-Forschung.pdf
10 www.ag-friedensforschung.de/themen/Schule/zivil.html
11 www.stattweb.de/files/appeal-civil.pdf
12 www.boeckler.de/pdf/mbf_gutachten_denninger_2009.pdf
13 www.gew-bw.de/Binaries/Binary18466/FAZ_zu_Zivilklausel_DE-EN.pdf
14 www.ag-friedensforschung.de/themen/Schule/uni-koeln.html
15 www.stadtrevue.de/index_artikel.php3?c=3&s=1