13 Hochschulen sind schon dabeiMit Zivilklauseln keine Forschung mehr für Rüstung und Krieg?
Von Jens Wernicke
Bei einer Zivilklausel geht es um deutlich mehr, als "nur" die Ablehnung von Atomwaffenforschung.
Zwei Dinge führen – nicht nur nach Ansicht der Friedensbewegung – zu einer zunehmenden "Militarisierung" der Politik und in Folge auch der Hochschulen.
Das erste ist: Die Bundeswehr unterliegt einem radikalen Wandel. Aus einer Armee in Bereitschaft ist inzwischen eine Armee im Einsatz geworden. Dass dies so gewollt ist, kann man beispielsweise in den so genannten Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) des Jahres 2011 nachlesen. Hier heißt es beispielsweise:
"Deutschland ist bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Dies beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften."
Zu den so genannten "deutschen Sicherheitsinteressen" gehört es dabei auch, "einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen." Bundespräsident Horst Köhler hatte wegen seiner Bemerkung, Deutschland führe zunehmend Krieg aus wirtschaftlichen Interessen, 2010 noch zurücktreten müssen.
Zum zweiten werden deutsche Hochschulen immer abhängiger von so genannten Drittmitteln, also privaten Geldgebern würden. Dieser Sachverhalt wird auf der nachfolgenden Grafik dargestellt:
Quelle der Grafik: www.kooperationsstelle-osnabrueck.de/.../Endstation_Bologna_/Vortrag_Wernecke_Osnabrueck...pdf
Nach Angaben von Reiner Braun, Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, ist davon auszugehen, dass etwa drei bis vier Milliarden Euro der aktuellen Forschungsmittel an deutschen Hochschulen bereits für Zwecke der Rüstungs- oder Sicherheitsforschung aufgewandt werden. Und umso abhängiger die Hochschulen von solchen "Fördergeldern" in Zeiten immer klammer werdender öffentlicher Haushalte und zunehmend gravierenderer ausfallender "Sparprogramme" werden, umso mehr richten sie sich natürlich an den Interessen potentieller Geldgeber aus.
Dies befürchtet inzwischen auch der Deutsche Hochschulverband (DHV), der in einer generellen Stellungnahme "Zur Unparteilichkeit von Wissenschaft" schreibt:
"Die Unabhängigkeit der Wissenschaft setzt eine ausreichende Grundfinanzierung von Forschung und Lehre voraus. Daran mangelt es aber: Neun von zehn Wissenschaftlern haben in den letzten fünf Jahren Drittmittel beantragt, weil sie nur auf diese Weise Projektmitarbeiter beschäftigen können. Solange Einwerbungserfolge bei Drittmitteln reputations- bzw. karrierefördernd wirken, finanziell belohnt werden und sich immer mehr zum Fetisch und zur Währung des Wissenschaftsbetriebs entwickeln, wächst die Gefahr sachfremder Einflüsse auf die Wissenschaft. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) sieht deshalb die wachsende Abhängigkeit von Drittmitteln in der Forschungsförderung mit Sorge. Auf einen Euro Drittmittel entfielen im Jahr 1995 zwei Euro Grundmittel für die Forschung, 2008 waren es hingegen nur noch 85 Cent. Vor diesem Hintergrund ist die Koppelung der Grundfinanzierung an das Drittmittelaufkommen ein Irrweg."
Und dabei geht es nicht etwa nur um Forschung für neue Panzer, Waffen etc. Nein, es geht auch und explizit um andere Dinge. Denn "[d]ie Universitäten untersuchen nicht nur das Aufstandspotential Afghanistans, sondern auch Neuköllns", wie die taz vom 8. Februar 2010 zu berichten weiß.
Kriegsforschung kein Einzelfall
Der Frankfurter Politologe Peer Heinelt, einer der Wortführer der neuen Bewegung gegen den wachsenden Einfluss des Militärischen an Hochschulen, konstatiert hierzu: "Kriegsforschung ist mittlerweile ein flächendeckendes Phänomen; betroffen sind mitnichten nur natur- und ingenieurwissenschaftliche Fachbereiche, sondern ebenso die Sozialwissenschaften."
So wird inzwischen an über 40 Hochschulen im naturwissenschaftlichen, medizinischen und sozialwissenschaftlichen Bereich für Bundeswehr, Rüstung und Krieg geforscht und gelehrt. Hinzu kommen noch enorme Mittel aus dem so genannten "zivilen Haushalt" des Bundesforschungsministeriums, mittels derer zum Beispiel unter dem Deckmantel "Sicherheitsforschung" ebenfalls militärische Zwecke bedient werden.
Um was für Forschung es sich dabei exemplarisch handelt, davon weiß das Online-Portal german-foreign-policy.com zu berichten. Dies vermeldete beispielsweise am 1. Mai 2013 unter dem Titel "Im Keim ersticken":
"Wissenschaftler der Universität Kiel haben ein Konzept zur Aufstandsbekämpfung in den Ländern des globalen Südens entwickelt. Die im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums verfasste Studie wurde unlängst bei einer Veranstaltung des Berliner Think-Tanks 'Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik' (DGAP) präsentiert. Die Arbeit bezieht sich explizit auf den vom Heereskommando der Bundeswehr herausgegebenen 'Leitfaden Aufstandsbewältigung' und fordert, gegen westliche Interessen gerichtete Widerstandsbewegungen möglichst 'im Keim zu ersticken'. Als eines der 'wirksamsten Instrumente' zur Erreichung dieses Ziels bezeichnet der Autor die 'Enthauptung' aufständischer Gruppen durch 'Ausschaltung von bedeutenden Führern'. Wesentliche Erkenntnisse der Studie resultieren aus sogenannten Feldforschungen in Afghanistan."
Wenige Wochen zuvor hatte man unter dem Titel "Traditionsreiche Hochtechnologie" das Folgende zu berichten gewusst:
"Bundeswehr, Rüstungsindustrie und zivile Hochschulen errichten eine neue Forschungsinstitution auf dem Gelände einer ehemaligen militärischen NS-Versuchsanstalt. Der 'Bavarian International Campus Aerospace and Security' (BICAS) soll der Entwicklung sowohl autonom agierender Kampfdrohnen als auch 'ziviler Sicherheitstechnik' dienen. Erklärtes Ziel ist die Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in 'marktreife Produkte' zwecks Sicherung der deutschen 'Innovations- und Technologieführerschaft'. Daneben geht es den beteiligten Waffenschmieden nach eigenen Angaben insbesondere um die Rekrutierung wissenschaftlichen Nachwuchses und um die 'Weiterbildung von einschlägigen Fachkräften'. Verwiesen wird zudem auf die 'Tradition' des 'weltweit einzigartigen' Campusstandortes: Während des Zweiten Weltkriegs befand sich hier die unter der Ägide des Messerschmitt-Konzerns errichtete 'Luftfahrtforschungsanstalt München', die Triebwerke für Kampfflugzeuge entwickelte. Die notwendigen Bauarbeiten mussten Häftlinge des KZ Dachau verrichten - angetrieben durch Misshandlungen der SS-Wachmannschaft."
Es stimmt also wohl: Deutsche Hochschulen forschen für den Krieg. Für den Krieg, der die deutsche Rüstungsindustrie ihre 'Innovations- und Technologieführerschaft' behaupten lässt. Aber auch für jenen, in dem es gilt, Aufständische mit militärischen Mitteln zu "befrieden". Auch im Inland übrigens ("Bundeswehreinsatz im Inneren. Soldaten fürs aufsässige Volk", taz.de vom 10.08.2012) – und das zu Zeiten, in denen die Vereinten Nationen aufgrund der sich ausbreitenden Massenarmut und -arbeitslosigkeit vor sozialen Unruhen in Europa warnen ("Wegen hoher Arbeitslosigkeit: Uno warnt vor sozialen Unruhen in Europa", faz.net vom 07.04.2013).
Mit den Waffen des Geistes – Gegen den Geist der Waffen!
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Und man kann es moralisch für richtig oder falsch befinden. Die Friedensbewegung fühlt sich, zumindest in weiten Teilen, offenbar den Gedanken von Martin Löwenberg, einem KZ-Überlebenden verpflichtet, der seine Position wie folgt formuliert:
Plakat für den Aufruf zur Zivilklauselabstimmung
"Die erste politische Veranstaltung, auf der ich nach unserer Befreiung am 7. Mai 1945 aus dem KZ-Außenlager Leitmeritz gesprochen habe, stand unter dem Motto: Mit den Waffen des Geistes - Gegen den Geist der Waffen! Dieser Leitsatz hat mich mein ganzes Leben begleitet. Denn ohne die aktive Unterstützung durch die Deutsche Wehrmacht hätte es keinen Holocaust gegeben. Darum bekämpfe ich auch heute noch den verfluchten deutschen Militarismus bei Gelöbnissen, Sicherheitskonferenzen und im Alltag."
Man muss dieser Position nicht zustimmen – sie ist aber logisch, konsequent und eines ganz sicher: legitim. Ziel der Friedensbewegung ist es denn auch, die Hochschulen auf zivile und friedenspolitische Forschung zu verpflichten.
Im Kern kreist diese Debatte dabei auch um das Wesen des deutschen Grundgesetzes:
"In der Präambel des GG heißt es, dass das 'Deutsche Volk', 'von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen', sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat. Ferner wird in Art. 1 Abs. 2 GG deklamiert, dass sich das Deutsche Volk 'zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt' bekennt. Diese Bestimmungen enthalten also eine normative Verpflichtung aller deutschen staatlichen Gewalt auf 'den Frieden', ohne jedoch nähere inhaltliche Festlegungen zu treffen. Insbesondere wird offen gelassen, inwiefern und in welcher Hinsicht Frieden ein 'Mehr' ist als jedenfalls die Abwesenheit von Krieg ('pax absentia belli')."
Die eine Position behauptet: Mit Drohnen, Panzern, Waffen, Aufstandsbekämpfung organisieren wir Frieden. Die andere insistiert darauf: Wirklich Frieden schaffen - kann man nur ohne Waffen.
Und diese Positionen stehen sich nun auch in der Wissenschaft und in den Hochschulen gegenüber. Was ist Frieden, was ist Krieg, was ist unsere Aufgabe als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?, fragen jeweils die einen wie die anderen und geben andere Antworten hierauf.
Die Friedensbewegung antwortet im Sinne Immanuel Kants wie folgt:
"In keinem Falle aber wird die Friedensforschung solche Therapien vorschlagen, die den Einsatz von Militär - und sei es nur als flankierende Maßnahme oder 'ultima ratio' - vorsehen. Militärgegnerschaft und radikale Militärkritik sind das Korrelat ihres pazifistischen Profils."
("Steinweg-Festschrift: Quo vadis Friedensforschung?")
In diesem Sinne gibt es immer die Möglichkeit einer friedlichen Konfliktlösung – und sind Krieg und Not eben immer auch durch den sozialen Kontext mitbestimmt.
"Freiheit für friedliche Gedanken!"
Aufgrund dieser Überzeugung setzt man sich inzwischen weltweit für die Selbstverpflichtung der Hochschulen ein, nur für zivile Zwecke zu forschen. In einem internationalen Appell aus dem Jahr 2011, der von weltweit führenden Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern unterzeichnet wurde, heißt es hierzu:
"Freedom of thought and ideas for a peaceful, sustainable and just world are universal human rights. Today, they are threatened in many places, including even the universities around the world. Growing militarization of academic research in not only engineering and natural sciences, but also humanities, is further eroding those rights. Immediate steps need to be taken to reverse this process."
In Deutschland bestanden diese "Schritte" vor allem daraus, dass sich an immer mehr Hochschulen Initiativen zur Etablierung von Zivilklauseln gegründet haben. Aus 5 Zivilklauseln, die es schon lange gab, sind daher inzwischen bereits 13 geworden. An weiteren, wie beispielsweise aktuell an der Universität Kassel, wird bereits über die Einführung einer Zivilklausel diskutiert.
Public domain
Zur weiteren Verbreitung des Anliegens sind zudem inzwischen eine Broschüre und ein Buch entstanden. Zudem wird im Netz detailliert "Buch geführt", was wo in Bezug auf "Krieg und Frieden an Hochschulen" im Lande gerade geschieht. Für den 13. bis 15. Juni sind zudem bundesweite Aktionstage geplant. Und auch eine Webseite ist in Arbeit.
"Wenn die Zivilklausel installiert ist, fängt die eigentliche Arbeit [jedoch] erst an", betont selbst Andreas Seifert, Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung. Und auch der Ingenieur Dietrich Schulze, von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender des Forschungszentrums Karlsruhe und einer der Repräsentanten der Zivilklausel-Bewegung, sagt: "Eine Zivilklausel allein genügt nicht, sie muss gelebt werden durch eine ständige Auseinandersetzung über das, was geforscht und gelehrt wird."
Quellen und Weiterlesen:
- Initiative gegen Militärforschung an Universitäten: Dokumentation über die Entwicklung und die Erfolge der Zivilklauselbewegung
http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf Broschüre der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di): "Zivilklauseln gegen Rüstungsforschung: Der Widerstand gegen eine Militarisierung der Bildung wächst"
Vortrag von Dietrich Schulze auf der Mitgliederversammlung des BdWi am 14. April 2013: "»Freiheit der Wissenschaft« und Kriegsforschung"
Broschüre der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen: "Stoppt Kriegsforschung an Hochschulen"
- Artikel von Dietrich Schulze: "Universitäten zivilisieren statt militarisieren"
http://stattweb.de/files/civil/Doku20101126.pdf - Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI): "Hochschulen forschen für den Krieg"
http://www.imi-online.de/download/SN-Studie07-2009-Forschung.pdf - Broschüre vom International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES) sowie der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA): "Commit universities to peace: Yes to civil clauses!"
http://www.inesglobal.com/download.php?f=c2a8afcf8066173b1646ce5d928d6ce4