Kauf' Dir eine Studierendengruppe!Studentische 'Initiativen für Studiengebühren' und was daraus wurde
Dieser Artikel erschien zuerst im Buch „Studiengebühren in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“, das im April 2009 aus Anlass von 10 Jahren Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) im BdWi-Verlag erscheint und dort bestellt werden kann.
Aus Dresden stammt die Idee, dass wenn das Land kein Geld für die Universitäten hat, dann müssen eben die Studenten helfen. Mit spenden. Dann hat die Bibliothek auch sonntags auf“1, so die Überschrift eines Artikels der Berliner Studentenzeitung Unaufgefordert vom Mai 2003. Seit im Herbst 2002 die Initiative „Unternehmen selbst!beteiligen“ (us!b) in Dresden ihr Unwesen treibt, wacht die verträumte Stadt an der Elbe auf. „Handeln statt meckern!“, so das Motto, der von Jens Bemme, einem Dresdner Studenten, forcierten Kampagne. Dass diese Kampagne nur aus einer Handvoll Studierender besteht, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Eine von dieser Gruppe initiierte Unterschriftenaktion an der TU Dresden brachte sagenhafte 47 Unterschriften, mit denen sie der Staatsregierung eine finanzielle Eigenbeteiligung anbot. Ein erstes Ziel war es, die Unibibliothek sieben Tage die Woche 24 Stunden täglich zu öffnen. Als aus diesem ersten Projekt ein Misserfolg wurde, da kaum jemand gewillt war, sich an Kosten zu beteiligen, für die der Freistaat Sachsen einstehen müsste, offenbarten die Initiatoren, dass es ihnen lediglich um eine grundsätzliche Diskussion über freiwillige Beteiligung gegangen sei.
Am Sonntag, dem 19. Januar 2003 wird die Sächsische Landes- und Universitäts-Bibliothek (SLUB) erstmalig außerplanmäßig geöffnet. Diese Aktion kostete 350 Euro, die nach mehrmonatiger Sammelzeit unter 35.000 Dresdner Studierenden zusammen gekommen sind. Auf Seiten der Hochschulleitung sowie der Staatsregierung rannten die Initiatoren natürlich offene Türen ein, denn diese freuten sich, die Bibliothek durch die zusätzlichen Mittel mit einer Minimalbesetzung im Wintersemester 2002/03 noch weitere zwei Mal sonntags für wenige Stunden zu öffnen. Die Studierenden nutzten diese Aktion zu ihrem Vorteil; an den drei geöffneten Sonntagen kamen mehr als 4.000 von ihnen in die Bibliothek, um zu lernen; spenden wollten sie aber kaum.
Die Initiative knüpfte enge Kontakte zur Wirtschaft und zu wirtschaftsnahen Einrichtungen, so dass eine Stiftung, die BMW nahe steht, nicht nur das Projekt, sondern auch Jens Bemme selbst mit 250 Euro monatlichem Stipendium förderte.2 Dass die Initiative auf konservativer Seite großer Unterstützung sicher war, konnte man 2002 auch in Spiegel Online nachlesen.3 In einem Interview propagierte Detlef Müller-Böling – damaliger Chef des Centrum für Hochschulentwicklung – die Vorteile von Studiengebühren und begrüßte Jens Bemme gemeinsam mit Vertretern des Rings Christlich-Demokratischer Studenten, der Studierendenorganisation der CDU, sowie Mitarbeitern des CHE an der privaten Universität Witten-Herdecke, die für ihre 'sozialen Studiengebühren' bekannt war.
Kurz nach dem Auftreten der Gebührenbefürworter formierte sich das Dresdner Bündnis gegen Studiengebühren (DSB), dem es gelang, ein weiteres Ausufern dieser Initiative zu verhindern.
Aus der 'Gruppe 47' wird eine Stiftung
Am 18. April 1999 wurde das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) gegründet. Anlass für die Gründung des Bündnisses war, dass es die 1998 gewählte rot-grüne Bundesregierung sichtbar an Entschlossenheit mangeln ließ, ihr Wahlversprechen eines bundeseinheitlichen Studiengebührenverbotes in die Tat umzusetzen. 10 Jahre später gibt es das Bündnis immer noch. Das Ziel, Studiengebühren zu verhindern, wurde zwar nicht in allen Bundesländern erreicht, Teilerfolge gab es beim Kampf gegen Studiengebühren trotzdem. 2008 wurden in keinem Bundesland neue Gebühren eingeführt, statt dessen die Studiengebühren in Hessen wieder abgeschafft. Aus Anlass des Jubiläums veröffentlicht Studis Online einige Artikel aus dem oben erwähnten Buch des ABS.
Bis 2005 sammelte die Gruppe weiter und bewirkte ab und an eine Öffnung der Sächsischen Landes- und Universitäts-Bibliothek jeweils sonntags für einige Stunden. „Um dauerhaft zu wirken, errichteten wir – Studenten und Absolventen der TU Dresden – die Studentenstiftung Dresden“4, so die Darstellung auf den Internetseiten der Studentenstiftung. Die genaue Bezeichnung lautet „gemeinnützige Studentenstiftung Dresden – als Unterstiftung zur Bürgerstiftung Dresden.“5 Dieses Rechtskonstrukt musste gewählt werden, da die Initiatoren – so sehr sie sich auch bemühten – kaum Stiftungsgelder bekamen. Wieso sollte auch jemand privat die Versäumnisse der Staatsregierung finanzieren? Die Dresdner Unternehmensberatung PAUL Consultants e.V. erhielt den Auftrag, auf Grund des Mangels an Stiftern 2006 den Organisationsaufbau voranzutreiben, denn zum 31. Dezember 2005 konnten trotz zweijähriger Sammelzeit gerade einmal 22.380 Euro Stiftungskapital verzeichnet werden.6 Als wertvolle Sachspenden werden unter anderem USB Sticks von Media Markt, Weihnachtsstollen einer Dresdner Bäckerei sowie eine kleine Menge des berühmten Russisch Brot genannt. 250 Euro erhielt die Stiftung von der Uni Image GbR, die im Rahmen eines Wettbewerbs einen Kalender mit Fotos von Studentinnen mit der Devise vermarktete „Mach dich nackisch für dein Studium“. Die Stiftung wurde am 2. Juni 2005 vom Finanzamt Dresden I als gemeinnützig anerkannt.7 Um den (bisher eher schleppenden) Aufbau der Stiftung weiter zu fördern, bedient man sich neuerdings auch der Onlineplattform Xing. Bis zum 31.12.2007 erreichte das Stiftungskapital nach 4 Jahren zähen Sammelns gerade einmal 56.507 Euro.8 Jährlich werden ca. 2.100 Euro für Verwaltung und Werbung ausgegeben, das heißt in 27 Jahren hat sich die Stiftung 'aufverwaltet'.
Nach dem Studienabschluss bekam Jens Bemme von der TU Dresden eine Stelle in der Marketingabteilung9. Es ist kein Wunder, dass die TU Dresden mit dem Zentrum für Technisches Design, dem TU Dresden Career Network sowie der SLUB Dresden und der Gesellschaft der Freunde und Förderer der SLUB Dresden e.V. zu den wichtigsten Förderern der Studentenstiftung laut dem Jahresbericht 2007 gehören.10
Kampagnen der Stiftung
'Aktion Lehrstuhl', heißt eine der Ideen, die von der Studentenstiftung verfolgt werden – langfristig wolle man einen eigenen von Studierenden gestifteten und bezahlten vollwertigen Lehrstuhl.11 Wie das an einer Hochschule mit 35.000 Studierenden allen zu Gute kommen soll, bleibt dabei weiterhin ein Rätsel. Um dem Ziel ein wenig näher zu kommen, werden gelegentlich Gastdozenten oder Vorträge unterstützt, so unter anderem mit dem für seine rigiden Werbemethoden bekannten Versicherungsunternehmen MLP, mit dessen Hilfe die Lehrveranstaltung „Entwerfen Technischer Produkte“. 2008 finanziert wurde. Schließlich wurde unter dem Titel „Wissenschaft visualisieren“ den Studierenden ein Seminar angeboten, mit dem Ziel, den 47. deutschen Historikertag zu dokumentieren. Ein Dresdner Designbüro war so frei und finanzierte zwei – zuvor dem Rotstift zum Opfer gefallene Tutorien – im Freihandzeichnen.12
'Studieren mit Kind', oder das Label 'Familienfreundliche Hochschule' ist in den letzten Jahren auch in Sachsen zum Schlagwort geworden. Nicht nur, dass das Sächsische Wissenschaftsministerium sich das Label 'Familienfreundlich' aufgedrückt hat, nein, auch die sächsischen Hochschulen verpassen sich mehr und mehr diese Marke. Die Studentenstiftung will dem natürlich nicht nachstehen und fördert aus ihren Mitteln Wickeltische, die Errichtung von ruhigen Plätzen zum Stillen sowie die Bereitstellung von Betreuungsangeboten für Kinder.13 So plante die Studentenstiftung in ihrem Ausblick auf das Jahr 2006 ein Kinderfest, um die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken zu wollen. Traurig genug, dass die Hochschulleitung sich familienfreundlich nennt und es nicht schafft, die Gebäude kinderfreundlich zu gestalten. Im Jahresbericht 2007 findet man auch den Grund für das Engagement „Alles Kinderkram! Mit dem Forum www.studium-mit-kind.de waren wir 2004 Trendsetter. Danach folgt Routine, so könnte man meinen. Trotzdem war das Thema für uns 2007 erneut ein Schwerpunkt, weil im Kreis der Studentenstifter sechs Kinder zur Welt kamen! Das prägt die Arbeit, verschiebt Prioritäten und zeigt, wie wichtig Generationswechsel sind.“14 Aus diesem Grund unterstützte die Studentenstiftung 2007 auch ein Video, welches engagierte Studierende beim Errichten eines Spielplatzes zeigt, nicht aber den Spielplatz.
Die 2003 begonnene Kampagne zur Öffnung der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek weist für die Zeit von 2003 bis Februar 2006 erst 33 geöffnete Sonntage der Bibliothek aus, also gerade mal 33 von 160 Sonntagen.15 Die eingeworbenen Spenden während der geöffneten Sonntage reichen gerade um die Hälfte der Kosten zu decken, so dass immer mehr Unternehmen herangezogen werden mussten, um das Ziel zu erreichen. So wurden bis 2005 einige Sonntage von F. A. Brockhaus, einer Dresdner Rechtsanwaltskanzlei, oder dem Ingenieurdienstleister Brunel gesponsert. Im Rechenschaftsbericht für das Jahr 2007 zählt man, nach vier Jahren, schon mehr als 50 geöffnete Sonntage, wobei der 50. von den Fraunhofer Gesellschaften gemeinsam gesponsert wurde. Insgesamt wurden für die Öffnung der SLUB im Jahre 2007 circa 80% der 17.853 Euro, die von der Stiftung zweckgebunden eingewoben wurden, ausgegeben.16
Sozialverträgliche Studiengebühren selbst verwalten?
Der Geldregen durch Studiengebühren bleibt aus.
Eine andere Karriere der Idee 'Studiengebührenmodelle selbst entwickeln und Einnahmen selbst verwalten' als Modell für eine ganze Hochschule lässt sich seit 14 Jahren im Ruhrgebiet beobachten. Die Universität Witten-Herdecke ist dort eine der größten privaten Hochschulen Deutschlands, beschäftigt circa 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wird von 1.200 zahlenden Studierenden besucht. Die in den frühen 1980er Jahren gegründete Hochschule setzt auf wenige ausgewählte Studienprogramme unter anderem im Bereich der Medizin und Wirtschaftswissenschaft. Zu den derzeit wichtigsten Förderern gehören unter anderem die Deutsche Bank und die Unternehmensberatung Ernst & Young und bis vor wenigen Jahren auch die Bertelsmann AG.17 Die permanent in Finanzierungsschwierigkeiten steckende Hochschule sah sich 1995 erstmals gezwungen, von ihren Studierenden Studiengebühren zu erheben und zwar auf der Grundlage eines von diesen selbst entwickelten Modells.18 Derzeit finanziert die Hochschule sieben Prozent ihres Etats durch Studiengebühren. Das sind circa 1,95 der rund 28 Millionen Euro. Im Jahr 2004 sollte bei gleichzeitigem Personalabbau die Gebühr erhöht werden, mit der Begründung, dass wichtige Geldgeber wie die Bertelsmann Stiftung sowie Leo Kirch für Ende 2004 ihren Rückzug angekündigt hatten und ein Drittel des Etats aus befristeten Spenden stamme.
Zur Einführung der Gebühren im Jahr 1995 wurde der Verein Studierendengesellschaft Witten Herdecke e.V. von Studierenden gegründet, der für die Erhebung der Gebühren verantwortlich ist. Man vereinbarte mit der Hochschule ein sogenanntes sozialverträgliches Modell19, indem man einen umgekehrten Generationenvertrag vorsah und glaubte, damit den Schrecken der Gebühren los zu sein. Studierende, die das Geld nicht sofort zahlen konnten, dürfen nach dem Berufseintritt überweisen, indem sie einen bestimmten Anteil ihres Einkommen an die Universität zahlen, wobei die zu zahlenden Sätze seit dem Jahre 2005 10% über 10 Jahre, bei Medizinern bis hin zu 15% über einen längeren Zeitraum betragen. Dieses so genannte Vorbildmodell für sozialverträgliche Gebühren steht seit Frühjahr 2008 vor dem Aus. Die Hochschulleitung, die sich mal wieder in einer Finanzkrise befindet, sieht als Ausweg aus der Misere nur, die Beiträge selbst festzusetzen, sie schrittweise 'internationalen Standards' von Eliteuniversitäten anzupassen und die Studierenden sofort zur Kasse zu bitten.
Man wolle mit dem Geld die Kapazität der Hochschule auf 2.900 Studienplätze mehr als verdoppeln und die Studienstruktur massiv verändern; hierfür müsse der Haushalt um 5 Millionen Euro erhöht werden. Die Finanzplanung für 2011/12 sieht einen Umfang der Studiengebühren von 14,2 Mio. Euro vor, derzeit sind dies noch circa 2 Mio. Euro. Selbst bei einer Verdreifachung der Studierendenzahl müssten die Studiengebühren um fast 140 % angehoben werden. So berechnete die Studierendengesellschaft, dass die Kosten für ein Medizinstudium von 30.000 auf 47.000, für Zahnmediziner sogar auf 60.000 Euro steigen könnte. Somit verabschiedet sich die Hochschule von einem Modell, bei welchem – nach eigenen Aussagen – noch kein Studierender auf Grund fehlender finanzieller Mittel vom Studium ausgeschlossen wurde.
Diese Ereignisse beweisen einmal mehr, dass Studiengebühren früher oder später, selbst wenn sie unter einem vermeintlichen sozialen Deckmäntelchen daher kommen, immer eines zur Folge haben: ihre feste Institutionalisierung und ständige Aufstockung. Sie laden dazu ein, auf finanzielle Engpässe durch ein Drehen an der Gebührenschraube zu reagieren.
Fazit
Somit kann man bezogen auf beide Beispiele sagen: die studentischen Initiativen gingen auf die ein oder andere Art stiften. In Dresden verweigern die Studierenden schlicht und einfach die Übernahme von Aufgaben, die die Staatsregierung hätte ausführen müssen, was man deutlich an dem sehr geringen Stiftungskapital sieht. In Witten-Herdecke haben die Studierenden nach Jahren der Kooperation von der Hochschule eine Abfuhr und die Entscheidungshoheit über die Gebühren entzogen bekommen. Ein ähnliches Spiel wird sich früher oder später an allen Hochschulen ereignen, an denen die Studierenden meinen, im eigenen Interesse die Gebühren mitverteilen zu können.
Anmerkungen (Fußnoten)
1 Lena Domröse , „Spenden statt meckern“, in: Unaufgefordert, 26. Mai 2003
2 Ebenda.
3 Jochen Leffers, „Freiwillige vor“, in: Spiegel Online, 08.November 2002; www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,221983,00.html
4 Studentenstiftung Dresden, www.studentenstiftung.de
5 Ebenda.
6 Jahresbericht 2005 der Studentenstiftung, Jens Bemme, Dresden, 2006
7 Ebenda.
8 Jahresbericht 2007 der Studentenstiftung, Jens Bemme, Dresden, 2008
9 http://tu-dresden.de/Members/jens.bemme
10 Jahresbericht 2007 der Studentenstiftung, Jens Bemme, Dresden, 2008
11 Ebenda.
12 Ebenda.
13 Ebenda.
14 Rechenschaftsbericht 2007, 3
15 Ebenda.
16 Ebenda.
17 Universität Witten Herdecke, www.uni-wh.de
18 Pressemitteilung der Universität Witten Herdecke 16.12.2003
19 Siehe hierzu auch die Beiträge von Sascha Vogt und Sonja Staack im erwähnten Buch des ABS.