Änderung der RahmenbedingungenAuswirkungen der Umstellung auf Bachelor / Master auf das freiwillige Engagement von Studierenden
Dieser Text ist entnommen aus:
Neundorf/Zado/Zeller: Hochschulen im Wettbewerb. Innansichten über die Herausforderungen des deutschen Hochschulsystems, Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn, 2009
www.dietz-verlag.de/0398
Wir danken dem Verlag dafür, den Text bei Studis Online veröffentlichen zu dürfen.
Wir, die beiden Autoren des Artikels, haben uns mit ehrenamtlichen Strukturen seit der gemeinsamen Zeit in der SchülerInnenvertretung und der Jugendpresse beschäftigt. Was ist nach unserer dort gesammelten Erfahrung der Nutzen aus freiwilligem Engagement? Wer sich engagiert, tritt nicht nur für die Interessen der Gesellschaft ein, er lernt auch, wie man effektiv und effizient gemeinsame Ziele erreicht, wie man Mitarbeiter motiviert und führt, wie man Ideen erfolgreich generiert, Finanzquellen erschließt, Projekte verwirklicht und ordentlich abschließt.
Für uns war das Engagement eine wichtige Quelle der Inspiration für das Studium und half uns, die theoretischen Aspekte des Studiums mit den realen Herausforderungen zu verknüpfen. Aber es hat unser Studium auch beeinträchtigt, unser Zeitkontingent eingeschränkt und in einigen Fällen auch unsere Prüfungsnoten beeinflusst. Wir haben beide die Wandlungen, die der Bologna-Prozess in Deutschland angeregt hat, selbst erfahren und beobachten können. An der Universität wie an der Fachhochschule, in Bachelor-, Master- und Magisterstudiengängen. Durch Erfahrungen beim Auslandsstudium können wir die Auswirkungen der Bologna-Reform in Deutschland mit den Auswirkungen auf das Ehrenamt in anderen Ländern vergleichen.
In dem folgenden Artikel wollen wir erkunden, welchen Einfluss die Umstellungen des Bologna-Prozesses auf das freiwillige Engagement der Studierenden haben.
A. Ehrenamt und freiwilliges Engagement
Freiwilliges Engagement ist nicht nur selbstloser Aufwand, sondern stiftet Nutzen. Dies kann als Erklärung herangezogen werden, wenn sich Menschen ohne Bezahlung engagieren. Der unmittelbare Nutzen tritt durch die Freude an der gemeinsamen Verfolgung von Zielen in Gruppen ein. Langfristiger Nutzen entsteht beispielsweise durch den Aufbau von sozialen Netzwerken und das Training von Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Es ist noch nicht lange her, als zuletzt bundesweit Studierendenproteste die Ökonomisierung der Bildung beklagten und diese symbolisch zu Grabe trugen. Neben Studiengebühren war es die Einführung gestufter Studiengänge, d. h. Bachelor- und Masterabschlüsse anstelle von Magister- und Diplom-Studiengängen, welche zur Zielscheibe der Proteste wurde. Durch die Verschulung und Verkürzung des Studiums wird die Zeit, die für ehrenamtliches Engagement im Studium bleibt, immer geringer, so die Studierendenvertreter.
Heute haben die Bachelor / Master-Studiengänge in vielen Hochschulen die Diplomstudiengänge ersetzt und oberflächlich betrachtet erscheinen die Auswirkungen auf das Ehrenamt nicht ganz so drastisch wie es manchmal den Anschein hatte: Immer noch sind zahlreiche Studierendenorganisationen aktiv, die Studierendenvertretungen arbeiten und auch die zahlreichen politischen und gesellschaftlichen Hochschulgruppen sind weiterhin tätig. Es bestehen also gute Gründe, davon auszugehen, dass das Argument der "Bachelor / Master verleidet den Studierenden das Engagement" so nicht ganz stimmt. Dass sich die Rahmenbedingungen allerdings verändert haben, ist unverkennbar.
Um die Veränderungen und ihre Auswirkungen auf das Engagement der Studierenden untersuchen zu können, ist zunächst eine Unterscheidung von Ehrenamt, Aktivismus und freiwilligem Engagement notwendig:
Ehrenämter sind insbesondere in Verbänden und NGO’s anzutreffen, in denen feste Funktionen übernommen werden bzw. die Aufgabe durch Wahl zugewiesen wird. Freiwilliges Engagement in Studierendenvertretungen besteht zumeist aus Ehrenämtern.
Aktivismus bezeichnet das freiwillige Engagement, welches ohne feste Strukturen und in Form von Projekten und Initiativen – oftmals mit politischem Bezug – stattfindet.
Als freiwilliges Engagement wird die am Gemeinwohl orientierte Investition von persönlicher Zeit und Arbeitkraft bezeichnet, welche ohne Bezahlung und Zwang erfolgt.
B. Bologna-Prozess und freiwilliges Engagement
Die Umsetzung der Bologna-Ziele, also die Schaffung eines europäischen Hochschulraums durch vergleichbare und transferierbare Studienleistungen und damit die angestrebte Verbesserung der Mobilität der Studierenden, war in Deutschland auch mit einer Neuorientierung der Hochschulen verbunden. Der Bologna-Prozess hat weitere Reformen befördert, zum Beispiel die Einführung von Studiengebühren oder Einschränkungen bei der politischen Mitbestimmung der Studierendenvertretern in den Hochschulgremien.
B. I. Arbeitsbelastung durch Studium und Engagement
Als 2003 und 2004 die Bundesländer begannen, Studiengebühren einzuführen, regten sich vielfältige Proteste. Ein wichtiges Argument gegen Studiengebühren waren die erhöhten finanziellen Barrieren, welche Studierenden aus wirtschaftlich benachteiligten Gesellschaftsschichten den Zugang zum Studium erschweren könnten. Ein Argument, das ebenfalls gelegentlich in der Debatte fiel, war auch, dass das freiwillige Engagement der Studierenden bedroht sei. Durch die Studiengebühren würde es Studierenden schwerer fallen, sich für gesellschaftliche Zwecke zu engagieren.
Eine andere Diskussion, die in diesem Rahmen geführt worden ist, war die Frage, ob Studierende, die sich ehrenamtlich engagieren, Nachlässe bei den Studiengebühren erhalten sollten. Auch unter den Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung gab es häufiger Nachfragen, ob ein Stipendium dazu führt, dass keine Studiengebühren gezahlt werden müssen.
Diese Diskussionen verdeutlichen, dass sich Änderungen der Rahmenbedingungen eines Studiums in nicht unerheblichem Maße auf das Freizeitverhalten der Studierenden auswirken. Natürlich ist insbesondere das freiwillige Engagement davon betroffen, wenn die ökonomischen Rahmenbedingungen eines Studiums sich ändern.
B. II. Anerkennung von freiwilligem Engagement
Die Einführung des europäischen Studienleistungstransfersystems (ECTS – European Credit Transfer System) hatte zum Ziel, Studienleistungen vergleichbar zu machen und realistisch abzuschätzen, welche Arbeitsbelastungen Studierende im Studium zu erwarten haben.
In Wirklichkeit hatten viele Fakultäten enorme Schwierigkeiten damit, eine realistische Einschätzung der Arbeitsbelastungen von Studierenden vorzunehmen, und vergeben die ECTS-Punkte nach anderen Gesichtspunkten (beispielsweise nach internen Hierarchien der Lehrstühle). Diese Verzerrung bei der Erfassung der Arbeitsbelastung führte häufig dazu, dass sich Studierende in einigen Studienfächern mit Studien- und Prüfungsordnungen konfrontiert sahen, die ein freiwilliges Engagement unter den Bedingungen eines regulären Studiums kaum möglich machen.
Das ECTS hatte gewiss nicht das Ziel, die Arbeitsbelastungen des freiwilligen Engagements einzuschätzen. Dennoch heißt es beispielsweise in der Bologna-Erklärung: "Punkte sollten auch außerhalb der Hochschulen, beispielsweise durch lebenslanges Lernen, erworben werden können, vorausgesetzt, sie werden durch die jeweiligen aufnehmenden Hochschulen anerkannt."
Die Vergabe von ECTS-Punkten für lebenslanges Lernen beim freiwilligen Engagement ist also grundsätzlich möglich, allerdings werden an den wenigsten Hochschulen in Deutschland tatsächlich ECTS-Punkte dafür vergeben. Die Schwierigkeiten beginnen allerdings schon beim Abgrenzen der unterschiedlichen Begriffe. Man spricht von Ehrenamt, Aktivismus oder freiwilligen Engagement, wenn man die vielfältigen Aktivitäten von Studierenden bezeichnen will.
B. III. Soft skills
Eine weitere Säule des Bologna-Prozess ist das sogenannte Diploma-Supplement. Der Zusatz zum Abschluss sollte "die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger" verdeutlichen und dazu beitragen "die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu fördern".
Vertreter von Studierendenorganisationen haben diese Orientierung am Arbeitsmarkt bei der Zertifizierung der so genannten Soft Skills als zunehmende Ökonomisierung des Studiums kritisiert. Ungeachtet dieser grundsätzlichen Kritik ist es aber auch sinnvoll, die durch das freiwillige Engagement im Studium erworbenen Fertigkeiten zu dokumentieren und in Ergänzung zu den Informationen über Abschlussart und -note aufzuführen. Freiwilliges Engagement ist nicht nur durch gemeinsame Ziele und Altruismus motiviert, sondern ist selbstverständlich auch ein Signal für zukünftige Arbeitgeber.
Bislang blieben Versuche, die durch freiwilliges Engagement während des Studiums erworbenen Soft Skills zu dokumentieren, unzureichend. Diese Zurückhaltung gegenüber nicht unmittelbar quantifizierbaren Fähigkeiten ist an deutschen Universitäten und im gesamten Bildungssystem zu spüren. Lehrer wie Professoren haben schon lange den Pfad des Humboldtschen Bildungsideals verlassen, und die ganzheitliche Ausbildung von jungen Menschen wird zunehmend vernachlässigt.
C. Veränderte Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement
Ein weiterer Aspekt, der bei der Diskussion des Bologna-Prozesses nicht berücksichtigt wird, sind die veränderten Rahmenbedingungen für kontinuierliches freiwilliges Engagement der Studierenden. Der Beginn des Studiums, oftmals begleitet durch freiwillige oder ZVS-vermittelte Wohnortwechsel, markiert im Leben vieler junger Menschen einen neuen Lebensabschnitt. Unmittelbar treten vorher nicht dagewesene Herausforderungen in den Vordergrund: neue Ansprüche, andere Lehrformen als in der Schule, Finanzierung von Leben und Studium und vieles mehr.
Dieser Übergang ist es, der es vielen ohnehin Schwierigkeiten bereitet, an das freiwillige Engagement der Schulzeit anzuknüpfen. Deutlicher noch als bei Diplom und Magister ist bei Bachelor und Master die zeitliche Vorstrukturierung unverkennbar. Das meist dreisemestrige Basisstudium ist stark geprägt durch die Orientierung und führt zumeist zur leistungsorientierten Selektion der Studierenden. Im Vertiefungsstudium findet die übergreifende Schwerpunktsetzung und alsbald der Abschluss der Bachelorarbeit statt. Mit einer erneuten Orientierungsphase beginnt der zweijährige Master und intensiviert den Forschungsanteil in der Lehre mit dem Verfassen der Master-Thesis.
C. I. Fremdbestimmte Zeitplanung
Erreicht wurde mit dieser engmaschigen Zeitplanung an einigen Hochschulen bereits eine Verkürzung der durchschnittlichen Studienzeit. Weniger Zeit bleibt damit für ein längerfristiges Engagement in einer Organisation oder einem Projekt. Erschwerend wirkt dieses insbesondere für diejenigen, die in der Projekt- und Freiwilligenarbeit noch nicht erfahren sind. Sie brauchen die Zeit zur intensiven Einarbeitung und Eingewöhnung, was eine wichtige Voraussetzung zur Übernahme von mehr Verantwortung ist.
Das Bachelorstudium ist wesentlich kürzer und die Inhalte modular aufgebaut. Theoretisch bestünde die Möglichkeit, die Module in beliebiger Reihenfolge zu belegen, jedoch bauen in der Praxis die meisten Lehrveranstaltungen aufeinander auf und müssen daher in einer vorgegebenen Reihenfolge belegt werden. Eingeschränkt ist auch die Selbststimmung, ggf. in einem Semester eine geringere Anzahl von Modulen zu belegen, um sich zeitweise in einem stärkeren Umfang freiwillig zu engagieren. Die Sicherstellung der Regelstudienzeit mittels überwiegender Anwesenheitspflicht und die Anforderung, in jedem Modul einen benoteten Leistungsnachweis zur erbringen, machen das Studium weniger flexibel für freiwilliges Engagement.
Bei den Diplom- sowie bei den Magisterstudiengängen war es üblich, dass sich die Studierenden im Hauptstudium auf ihre Studienschwerpunkte konzentrieren konnten und die Belastung durch verpflichtende Kurse abnahm. Die Studierenden konnten die freigewordenen zeitlichen Kapazitäten für Auslandsstudien, Forschungspraktika, aber auch für freiwilliges Engagement nutzen. Dies rundete das akademische Profil der Studierenden ab und gab ihnen Zeit, ihre beruflichen und privaten Interessen weiterzuentwickeln. Durch das gestufte Studiensystem ist dies nicht mehr so einfach möglich. Ein dreijähriger Bachelor-Abschluss erfordert von den Studierenden bereits im ersten Jahr des Studiums eine Entscheidung darüber, ob und wo sie im zweiten Jahr des Studiums ihr Auslandssemester verbringen werden. Zu Beginn des dritten Studienjahres müssen sie sich dann entscheiden, ob sie eine Berufslaufbahn, einen Master im gleichen Fach oder in einer anderen Fachrichtung anstreben. Praktika und Sprachausbildungen sollen ebenfalls in diesen drei Jahren durchgeführt werden.
Andere Länder sind da wesentlich flexibler. In Großbritannien beispielsweise dauern die Bachelor-Studiengänge in den meisten Fällen ebenfalls nur drei Jahre, dafür aber legen viele Studierende zwischen dem Abschluss und dem meist einjährigen Master ein Gap-Year ein, in dem sie ihren Interessen nachgehen können. Die einjährigen Master führen dazu, dass im europaweiten Vergleich die Ausbildung dennoch innerhalb der dafür vorgesehenen fünf Jahre durchgeführt wird. In Deutschland hingegen sind die Bachelor-Studiengänge auf drei Jahre ausgerichtet, allerdings benötigen eine Vielzahl der Studierenden mindestens sieben bis acht Semester für den Bachelor-Abschluss. Dadurch wird das Ziel einer kürzeren Studienzeit, das in Deutschland bei den Studienreformen eine so wichtige Rolle spielte, konterkariert.
C. II. Dienstleistungsmentalität
Zum Teil wird zurückgehendes Engagement der Studierenden auf die Tendenz zur Dienstleistungsmentalität gegenüber dem Studium zurückgeführt. Durch die Einführung von Studiengebühren wird diese Erwartungshaltung an die Hochschulen befördert. Dem steht allerdings kein entsprechender Kulturwandel von Hochschulverwaltung und Lehrenden gegenüber, so dass sich die Distanz zwischen Erbringer und Abnehmer der immateriellen Dienstleistung Bildung vergrößert.
Auf diese Weise ist die Einbindung des externen Faktors "Student" in der gemeinsamen Produktgestaltung, also dem Lernprozess der Studierenden, beeinträchtigt. Auch wenn die Lehren aus den bisherigen Fehlern gezogen werden, bleibt der Faktor "Student" dennoch weiterhin ausgeblendet. Unverständnis und Gegenreaktionen auf beiden Seiten führen zu Irritationen und bergen ein zunehmendes Konfliktpotential. Der Gegensatz von der universitas magistrorum et scholarium des frühen 19. Jahrhunderts zur heutigen kennzahlengestützten Abschlussproduktion könnte kaum größer sein.
C. III. Finanzierung des Studiums
Unabhängig von der Art des Studienabschlusses sind weitere Tendenzen zu benennen, die einen Einfluss auf die Bereitschaft zu freiwilligem Engagement haben können. In den Vordergrund trat in den vergangenen Jahren der Anstieg der Lebenshaltungskosten. Begleitet durch die Einführung von Studiengebühren in einigen Bundesländern erhöht dies den Finanzierungsdruck auf die Studenten.
Die Alternative zu Schulden und der Eltern Geldbeutel ist studentische Erwerbstätigkeit auch während der Vorlesungszeit. Das Nebeneinander von Studium mit seinen Vorlesungen, der Vor- und Nachbereitung sowie einem 15 bis 20 Stunden-Job erfordern schon ein hohes Maß an Selbst- und Zeitmanagement, sollte man "nebenbei" noch in Initiativen, Projekten oder Gremien aktiv sein wollen.
Freiwilliges Engagement ist selten kostenneutral, sondern erfordert zusätzlich zum zeitlichen Engagement auch noch finanziellen Einsatz. Fahrt- und Telefonkosten müssen von den Aktiven in dem meisten Fällen selber getragen werden, hinzu kommen Mitgliedsgebühren und Spenden. Es besteht die Gefahr, dass Studium und freiwilliges Engagement nur noch von einer kleinen Schicht der Studierenden vereinbart werden kann.
D. Einfluss der Universität auf freiwilliges Engagement
Die Veränderungen der Rahmenbedingungen für das Studium müssen sich aber nicht zwangsläufig negativ auf das freiwillige Engagement von Studierenden auswirken. So konnten die Fachschafts- und AStA-VertreterInnen an einigen Universitäten sogar an politischen Einfluss gewinnen und schafften es, die Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement zu verbessern. An der Universität Bayreuth beispielsweise erreichte der Studentische Konvent, dass für ehrenamtliches Engagement Studiengebühren erlassen werden.
Die Bereitschaft der Studierenden sich freiwillig zu engagieren ist nicht unbedingt weniger geworden. Allerdings hat es den Anschein, dass es eher die formalen bzw. inneruniversitären Gremien wie die studentischen Vertretungen und Fachschaften sind, die Schwierigkeiten in der Gewinnung von Aktiven haben. Eine Zunahme von projektbezogenen Engagement ist hingegen bei karriereorientierten Organisationen und Netzwerken zu verzeichnen. Dieser Wandlungsprozess hält weiterhin an und die Zahl der StudentInnen aus Magister- und Diplomstudiengängen in Ehrenamtspositionen nimmt kontinuierlich ab.
D. I. ECTS-Punkte für Ehrenamt
Ohne Frage, freiwilliges Engagement findet in- und außerhalb der Universität statt, ist nicht an Strukturen gebunden und erfüllt auch nicht immer einen politischen Zweck. Eine Zertifizierung und Erfassung der Arbeitsbelastung ist kaum möglich. Das heißt aber nicht, dass dieses Engagement bei der Gesamtbewertung von Studierenden ignoriert werden kann. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ermutigt die an der Auswahl der Studierenden beteiligten Auswahldozenten, auch auf das freiwillige Engagement zu achten. Bei der Beurteilung der Semesterberichte sind die außeruniversitären Leistungen genauso wichtig wie die akademischen. Auch wenn bei den Stipendiaten der finanzielle Druck etwas geringer ist und eventuell kein Nebenjob angenommen werden muss.
Es ist also nicht unmöglich, Raum für das freiwillige Engagement bei der Gesamtbewertung der Studierenden zu schaffen. Zum Beispiel wäre es sinnvoll bei der Vergabe der 60 ECTS-Punkte pro Studienjahr Punkte auf freiwilliges Engagement jeglicher Form – auch außeruniversitär – zu vergeben. Dies würde den unterschiedlichen Arbeitsbelastungen zwar nicht ausreichend gerecht werden, würde aber ein deutliches Signal setzen, dass ein solches Engagement von der Universität erwünscht und anerkannt wird.
Diesen Weg geht die Universität Kassel seit Herbst 2005. Dort kann das Engagement von Bachelor- und Masterstudenten als Studienleistung angerechnet werden. Sie können damit zwei bis drei ECTS-Punkte im Bereich Schlüsselkompetenzen im Semester und insgesamt bis zu sechs Punkt einbringen. Angerechnet werden dabei ehrenamtliche Tätigkeiten in Organen der Studierendenschaft wie dem Studierendenparlament oder dem AstA und dem Studierendenwerk. Als ehrenamtliche Tätigkeiten gelten in diesem Kontext auch die Abhaltung von Tutorien als Bestandteil der Lehre, die Einführung der Erstsemester in das Studium oder die Mitwirkung in der studentischen Studienberatung.
D. II. Blick ins Ausland
Die deutsche Debatte um "Eliteuniversitäten" orientiert sich an den sogenannten ausländischen "Eliteuniversitäten" häufig nur in Bezug auf die finanzielle Ausstattung der Universitäten und an den Studiengebühren. Oft wird dabei vergessen, dass ein wichtiges Merkmal der amerikanischen und englischen "Elite-Hochschulen" ist, dass sie ehrenamtliches Engagement als einen unverzichtbaren Teil des akademischen Lebens betrachten.
Ein paar Beispiele von der Universität Cambridge können verdeutlichen, wie eine Universität es schaffen kann, das ehrenamtliche Engagement der Studierenden zu fördern. Die Studierenden dort gehören nicht nur ihrem jeweiligen akademischen Fachbereich an, sondern auch einem der ca. 30 Colleges. Wie in Deutschland zum Beispiel die evangelischen oder katholischen Hochschulgemeinden oder die Studierendenwerke stellen die Colleges für die Studierenden Wohnungen und Zimmer bereit. Das College ist aber darüberhinaus auch für viele Studierenden ein wichtiges soziales Umfeld, in dem über den Fachbereich hinaus Kontakte zu anderen Studierenden geknüpft werden.
Die Colleges versuchen, die Vielfalt des studentischen Lebens zu unterstützen. Beim Sport stellen die Colleges für die Mannschaften umfangreiche Trainingsmöglichkeiten und auch finanzielle Mittel bereit. In Cambridge gibt es mehr als 50 größere und kleinere Studentenorchester, die auch finanziell von den Colleges unterstützt werden und denen Proberäume im College zur Verfügung gestellt werden.
Zahlreiche fachbezogene Organisationen organisieren während des Semesters Veranstaltungen und Diskussionsrunden. Die Studierendenvertretungen haben finanzielle und logistische Möglichkeiten, von denen mancher AStA in Deutschland nur träumen kann, zum Beispiel werden mehrere wöchentliche und monatliche Zeitungen herausgegeben. Zu Beginn des Semesters präsentieren sich die studentischen Organisationen und Vereine auf der "Cambridge Society Fair". Der Andrang bei dieser "Society Fair" ist überwältigend. Fast 600 studentische Organisationen gibt es in Cambridge, kein Vergleich zu einer deutschen Universität in der gleichen Größenordnung.
Ist die besondere Stellung des Ehrenamts nur dem Umstand zu verdanken, dass die Universität mehr finanzielle Mittel zur Verfügung hat? Oder die Auswahl der Studierenden diejenigen bevorzugt, die sich sowieso ehrenamtlich engagieren und sich dies leisten können? Solche Einwände treffen allerdings nicht ganz den Kern des Phänomens Ehrenamt in Cambridge. Es hängt von der Einstellung der Universität ab, welche Anerkennung sie dem Engagement der Studierenden entgegenbringt. Sowohl von Seiten der Universität als auch von Seiten der Colleges wird das Engagement der Studierenden als essentieller Teil der akademischen Ausbildung angesehen. Akademische Stipendien werden mit dem freiwilligen Einsatz der Studierenden im Rahmen der Universität verknüpft. Die Investition in ehrenamtliches Engagement zahlt sich für die Universität aus, denn die ehemaligen Studierenden finanzieren durch Spenden das ehrenamtliche Engagement der aktuellen Studierenden.
Aber auch kleine Zeichen zeigen den anderen Umgang mit Ehrenamt. Es ist zum Beispiel üblich, dass der Leiter des Colleges einmal im Jahr die Mitglieder der Studierendenvertretung zu einem Essen bei sich zu Hause einlädt. Wann hat man schon mal davon gehört, dass der Präsident einer deutschen Universität die Studierendenvertreter bewirtet? Wahrscheinlich würden viele Studierende unterstellen, dass Studierendenvertreter, die so vertraut mit "der anderen Seite" werden, ihre Interessen nicht mehr vertreten können, frei nach Kurt Tucholsky, dass die "die schlimmsten Verrätereien auf dieser Welt gratis begangen werden". Der Eindruck täuscht. Die Studierendenvertretungen in Cambridge haben gerade dadurch, dass sie sehr viel stärker geschätzt werden von den Professoren, einen sehr viel größeren Einfluss auf die Entwicklung der Universität.
E. Fazit
Das Problem des studentischen Engagements an den deutschen Universitäten besteht nicht primär im Bologna-Prozess und seinen Auswirkungen, sondern in der grundlegenden Einstellung gegenüber dem freiwilligen Engagement. Es wird fälschlicherweise nicht als essentieller Bestandteil der Ausbildung wahrgenommen.
Es wäre gut, wenn deutsche Universitäten verstehen würden, dass hochrangige akademische Leistungen nur dann möglich sind, wenn die Universität versteht, dass ein gutes Studiumserlebnis auch das ehrenamtliche Engagement umfasst.
Wenn man sagt, dass die Einführung der gestuften Studiengänge den Studierenden das freiwillige Engagement grundsätzlich unmöglich macht, dann ist man mit Sicherheit zu pessimistisch. Aber zur uneingeschränkten Freude besteht ebenso wenig Anlass. Noch fehlen wissenschaftliche Untersuchungen, welche die tatsächlichen Auswirkungen des Bologna-Prozesses auf das freiwillige Engagement beleuchten. Eine abschließende Bewertung wäre daher verfrüht. Dennoch – gesellschaftspolitisch Handelnde und Denkende müssen nachdrücklich einfordern, dass solche Entwicklungen beobachtet werden und dass Engagement neben dem Studium auch weiterhin möglich sein kann.